Auszug aus dem Plenarprotokoll 5/30 • 16.11.2007 Landtag von Sachsen-Anhalt
• Fünfte
Wahlperiode •
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Meine Damen und Herren! Es wäre
wünschenswert,
dass Sie Platz nehmen, damit wir
beginnen können. Die
einen oder anderen werden diese
Debatte sicherlich mit
Interesse verfolgen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16
auf:
Erste Beratung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Gedenkstättenstiftungsgesetzes
des Landes Sachsen-Anhalt
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU
und der SPD
- Drs. 5/945 neu
Ich bitte zunächst Herrn Scharf
darum, als Einbringer
das Wort zu ergreifen. Bitte schön.
Herr Scharf (CDU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren!
Der Landtagsbeschluss zum Gesetz über
die Errichtung
der Stiftung Gedenkstätten im Land
Sachsen-Anhalt
vom 22. März 2006 ist nach meiner
Auffassung in
einzelnen Passagen weder gut
gelungen, noch befriedigt
das erzielte Ergebnis.
Seit dem Inkrafttreten des Gedenkstättenstiftungsgesetzes
ist die Kritik, insbesondere an der
unterschiedlichen
Behandlung der Mitglieder im
Stiftungsrat nach § 7
Abs. 2 des
Gedenkstättenstiftungsgesetzes und der Mitglieder
des Beirates, nicht verstummt.
Während für die
Stiftungsbeiräte nach § 11 Abs. 6
Voraussetzung für eine
Mitgliedschaft die Zustimmung zur
Überprüfung auf
der Grundlage des Gesetzes über die
Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes ist, fehlt
eine entsprechende
Regelung für die Mitglieder des
Stiftungsrates. Zwingende
sachliche Gründe für die
Ungleichbehandlung sind
hingegen nicht gegeben.
Die darüber öffentlich geführte
Diskussion, die zum Teil
auch bundesweit stattgefunden hat,
verstellt derzeit aber
den Blick auf das Wesentliche. Mit
diesem Gesetz hat
die CDU-FDP-Koalition am Ende der vergangenen Wahlperiode
einen Schlusspunkt unter eine
jahrlang geführte
Diskussion gesetzt. Nicht zuletzt die
auch von der PDSFraktion
maßgeblich mitgeführten Diskussionen
über die
Nutzung und Weiterverwendung der
Gedenkstätte Lichtenburg
haben dazu geführt, dass sich
Sachsen-Anhalt
nach den Ländern Brandenburg,
Sachsen, Thüringen,
Bayern und Niedersachsen zur
Errichtung einer öffentlich-
rechtlichen Stiftung entschlossen
hat, um zum Gedenken
an die NS-Opfer fünf Gedenkstätten
und drei
Gedenkstätten für die Opfer aus den
Zeiten der sowjetischen
Besatzung und der SED-Diktatur in die
Trägerschaft
einer Stiftung zu übertragen. Die
Begründung zu
dem damaligen Gesetz führt für diesen
Schritt Folgendes
an - ich zitiere -:
„Die öffentlich-rechtliche Stiftung
‚Sachsen-Anhaltische
Gedenkstätten’ soll die gesamte
Erinnerungs-,
Bildungs- und Forschungsarbeit der Gedenkstätten
verantworten, die zahlreichen Kontakte
zu den Opfern und ihren
Organisationen
pflegen und nicht zuletzt die
historischen Orte der
Menschenrechtsverletzungen betreiben
und erhalten.“
Weiter heißt es: Jedes Opfer
politischer Gewaltherrschaft
hat in der Gedenkstättenarbeit den
gleichen Stellenwert
zu besitzen.
Meine Damen und Herren! Hieraus wird
deutlich, dass
die Opferperspektive maßgeblicher
Blickwinkel des Gesetzes
sein soll. Daher, meine Damen und
Herren, ist
der Zweck der Stiftung wieder stärker
in den Blick zu
nehmen. Der Zweck der Stiftung
definiert sich über die
Opfer der Nazi- und der SED-Diktatur.
Die Perspektive
der Opfer ist der maßgebliche Maßstab
zur Beantwortung
der Frage, ob die Stiftung ihren
Stiftungszweck erfüllt
oder erfüllen kann.
Es geht nicht darum, meine Damen und
Herren, ob wir
selber als Mitglieder des Landtages
unsere Ziele und
Perspektiven in der Arbeit der
Stiftung richtig verwirklicht
sehen. Nein, wir, meine Damen und
Herren, müssen
versuchen, uns in die Sicht der Opfer
der Diktaturen hineinzuversetzen,
wenn wir überlegen, wie und mit
welchen
Personen die Stiftung arbeiten soll.
(Beifall bei der CDU und bei der SPD)
Meine Damen und Herren! Die
CDU-Fraktion stellt sich
ihrer Verantwortung für die
Zusammensetzung des Stiftungsrates
und die Wahl von Mitgliedern dieses
Gremiums.
Als Vorsitzender der CDU-Faktion und
ganz persönlich
stelle ich hier erneut fest, dass
dieses Haus bei
der Wahl von Landtagsmitgliedern in
den Stiftungsrat am
19. Oktober 2006 die allein zählende
Perspektive der
Opfer nicht genügend gewürdigt hat.
(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)
Viele Zuschriften, Anrufe und
persönliche Gespräche bestätigen
diese Erkenntnis. Die Achtung und der
Respekt
gegenüber den Opfern des DDR-Regimes,
die sich
durch die Wahlentscheidung des
Landtages verletzt fühlen,
gebieten es, dieses zu korrigieren.
Meine Damen und Herren! Mir
persönlich war es ein
wichtiges Anliegen, Schaden vom
Stiftungsrat abzuwenden.
Daher habe ich im Sommer und im
Herbst Gespräche
mit dem Ziel geführt, dass die
Fraktion DIE LINKE
einen unbelasteten Umgang mit der
Stiftung und dem
Stiftungsrat ermöglicht. Die nunmehr
wegen der beharrlichen
Verweigerung eingetretene
wechselseitige
Blockade gefährdet die
Gedenkstättenstiftung in ihrem
Bestand, so befürchte ich. Wir nehmen
zur Kenntnis,
dass die Fraktion DIE LINKE bereit
ist, die früher selbst
von ihr gewollte Errichtung einer
landesweiten Gedenkstättenstiftung
zu gefährden. Dieses, meine Damen und
Herren, kann die CDU-Fraktion nicht
zulassen.
Meine Damen und Herren! Die intern
und öffentlich geführten
Diskussionen der letzten Monate haben
gezeigt,
dass die handwerklichen Fehler im
Gesetz durch eine
Gesetzesänderung beseitigt werden
müssen. Dies geschieht,
wie es bei einem Gesetz notwendig
ist, in öffentlicher
Sitzung in zwei Lesungen des
Landtages von
Sachsen-Anhalt. Es ist somit ein
demokratisch legitimierter
Vorgang in unserer repräsentativen
Demokratie.
Meine Damen und Herren! Wer meint,
dass wir einen juristischen
Fehler begehen, kann auch dieses
wiederum
juristisch überprüfen lassen. Das,
meine Damen und
Herren, unterscheidet uns
grundsätzlich von den Diktaturen,
deren geschichtliche Aufarbeitung
unter anderem
die Aufgabe dieser Stiftung ist.
(Beifall bei der CDU und bei der SPD)
Meine Damen und Herren! Sofern
öffentlich geäußert
wurde, dass wir mit dem nunmehr
vorgelegten Gesetzentwurf
eine Bananenrepublik wären, so muss
dem entschieden
widersprochen werden. Der vorliegende
Gesetzentwurf
ist kein Einzellfallgesetz und
unterliegt damit
nicht dem Verbot nach Artikel 20 Abs.
1 der Landesverfassung.
Um ein Einzelfallgesetz handelt es
sich, wenn eine
Rechtsfolge an einen konkret
bezeichneten Tatbestand
geknüpft ist und sich das Gesetz in
dem einmaligen Eintritt
der Rechtsfolge erschöpft. Unzulässig
sind Einzelfallgesetze
jedoch nur dann, wenn damit
Grundrechte
eingeschränkt werden. Die gesetzliche
Regelung eines
Einzelfalls ist nicht ausgeschlossen,
wenn der Sachverhalt
so beschaffen ist, dass es nur einen
Fall dieser Art
gibt und die Regelung dieses
singulären Sachverhaltes
von sachlichen Gründen getragen wird
- so die Kommentierung
zur Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts.
Bei genauerer Betrachtung ist dem
allgemein-abstraktgenerellen
Gesetz das Einzelpersonengesetz und
das
Einzelfallgesetz gegenüberzustellen.
Ausweislich der
Kommentierung zu Artikel 19 des
Grundgesetzes ist in
der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts
bislang kein Verstoß eines Gesetzes
gegen Artikel 19
des Grundgesetzes festgestellt
worden.
Das Bundesverfassungsgericht ist
vielmehr der Auffassung,
dass durch abstrakt-generelle
Regelungen auch
dann, wenn sie zur Lösung bestimmter
historischer Problemlagen
ergehen oder sogar aus Anlass
konkreter
Einzelfälle erlassen werden, eine
Verfassungswidrigkeit
nicht gegeben ist.
Schon die abstrakt-generelle
Formulierung des Gesetzes
stellt auch in solchen Fällen
regelmäßig sicher, dass
das Gesetz nicht nur für einen
abschließend bestimmten
Kreis von Adressaten gilt, sondern
auf unbestimmt viele
weitere Fälle anwendbar ist, auch
wenn diese erst für
die Zukunft zu erwarten sind oder
sich nur einer der
möglichen Anwendungsfälle realisiert
hat.
Es bleibt daher, meine Damen und
Herren, festzustellen,
dass das Einzelfallgesetzverbot
bislang keine praktische
Bedeutung erlangt hat. Mit dem jetzt
vorgelegten Gesetzentwurf
ist eine generelle Regelung getroffen
worden,
sodass ein Verstoß nicht anzunehmen
ist.
Aber, meine Damen und Herren, ich
will auf einen weiteren
Aspekt hinweisen, der unsere jetzige
Diskussion in
einem größeren Zusammenhang zeigt.
Mitte Juni 2001
hat der stellvertretende
Parteivorsitzende Porsch erklärt,
dass sich die PDS für den Mauerbau
nicht entschuldigen
müsse. Der stellvertretende
Parteivorsitzende Dehm
äußerte sich zur künftigen Enteignung
von Großkonzernen.
Unmittelbar im Nachgang gab die
seinerzeitige PDSChefin
Frau Hein der Zeitung „Die Welt“ am
22. Juni
2001 ein Interview, in dem sie
ausführte, dass der
Begriff „Unrechtsstaat der DDR“
völlig falsch und fehl am
Platze sei. Ministerpräsident a. D.
Höppner attestierte
der PDS, dass sie dringend eine
ideologische Entrümpelung
brauche. Mit einem Gastbeitrag
replizierte der damalige rechtspolitische
Sprecher der CDU-Landtagsfraktion
Walter
Remmers in der „Mitteldeutschen
Zeitung“ am 5. Juli
2001: Mit der heute ausgetragenen
Diskussion müssen
wir uns erneut Fragen stellen über
Möglichkeit und
Grenzen der Aufarbeitung zwischen
Opfern und Personen,
die in einen Unrechtsstaat, zum
Beispiel im Justizbereich,
eingebunden gewesen sind.
Meine Damen und Herren! Anstatt der
Gedenkstättenstiftung
die Möglichkeit zu geben, inhaltliche
Fragen zu
bearbeiten, die Geschichte
aufzuarbeiten und für eine
stärkere Verankerung des
Demokratieverständnisses in
der Gesellschaft zu arbeiten, strengt
DIE LINKE eine
abseitige Debatte an.
Demgegenüber sollte von uns
angeknüpft werden an die
Arbeit des Hannah-Arendt-Instituts
für Totalitarismusforschung
an der Technischen Universität in
Dresden, das
sich mit theoretischen und
konzeptionellen Grundlagen
der Diktatur- und Freiheitsforschung
befasst. Ebenso arbeitet
das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt
als Scharnierstelle
zwischen wissenschaftlicher
Theoriebildung und
gegenwartsbezogener kultureller
Praxis.
Aber auch in unserem Land gibt es
Vorarbeiten, an die
angeknüpft werden sollte. Erinnert
sei an die inzwischen
leider vergriffenen Arbeiten über die
JVA Roter Ochse in
der Zeit zwischen 1933 und 1945 und
an die Arbeit über
die MfS-Untersuchungsanstalt „Roter
Ochse“ in der Zeit
von 1950 bis 1989, die vom damaligen
Innenministerium
unter der Leitung von Manfred Püchel
herausgegeben
wurden.
Meine Damen und Herren! Es gibt
möglicherweise noch
einen anderen Einwand, der im Laufe
der Debatte von
der Fraktion DIE LINKE vorgetragen
werden wird. Es ist
der Vorwurf, dass wir mit einer
erzwungenen Änderung
der Zusammensetzung des
Stiftungsrates Hunderttausende
von DDR-Biographien diskriminieren
und entwerten
würden. Das ist natürlich nicht der
Fall. Eine ungerechtfertigte
Solidarisierung von Opfern und Tätern
wird
es nicht geben. Wir werden es auch
nicht zulassen, dass
sich ehemalige Täter heute als neue
Opfer stilisieren.
(Beifall bei der CDU)
Jeder, meine Damen und Herren, der in
der ehemaligen
DDR gelebt und in Beruf, Familie und
öffentlichem Engagement
Verantwortung getragen hat, muss sich
seiner
eigenen Verantwortung bewusst sein.
Ein verklärter
Blick zurück hilft wirklich nicht.
Meine Damen und Herren! Maßgeblich
ist die Perspektive
der Opfer der Gewaltherrschaft,
gegebenenfalls auch
als Korrektiv eigener Erinnerung oder
des eigenen Wegsehens.
Meine Damen und Herren! Die
Linksfraktion sollte sich
einmal fragen, ob für sie ein
Repräsentant des NS-Regimes,
auch wenn dieser mit seiner
Vergangenheit gebrochen
zu haben glaubt, als Repräsentant
einer Stiftung
zur Aufarbeitung der NS-Diktatur
geeignet wäre. Insbesondere
für den Justizbereich, meine Damen und
Herren,
kann ich mir eine entsprechende
Akzeptanz wirklich
nur schwer vorstellen.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der SPD)
Ich will es deutlich sagen: Auch wenn
die betreffende
Person einsieht, dass sie damals
Unrecht begangen hat,
wäre für die Akzeptanz die
Perspektive der Opfer und
nicht die Selbsteinschätzung der
betreffenden Person
entscheidend, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der SPD)
Meine Damen und Herren! Die
Kolleginnen und Kollegen
der FDP-Fraktion waren eingeladen,
den geänderten
Gesetzentwurf mit einzubringen. Sie
müssen heute erklären,
warum sie nicht bereit sind, den von
uns vorgeschlagenen
Weg mitzugehen. Juristische Bedenken
lassen sich, soweit ich sie bisher
erkennen kann, nach
meiner Auffassung ausräumen. Ich
möchte daran erinnern,
dass der Landtag nicht wie im letzten
halben
Jahr nur zur verbalen
Auseinandersetzung aufgerufen
ist, sondern er ist auch zum Handeln
aufgerufen. - Vielen
Dank.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei
der SPD)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank für die Einbringung des
Gesetzentwurfs,
Herr Scharf. - Wir beginnen gleich
mit der Debatte. Zunächst
haben wir die Freude, Seniorinnen und
Senioren
sowie Mitglieder der Freiwilligen
Feuerwehr Schmölau-
Holzhausen begrüßen zu können.
(Beifall im ganzen Hause)
Die Debatte beginnt mit dem Beitrag
der FDP-Fraktion.
Ich erteile Herrn Professor Paqué das
Wort.
Herr Prof. Dr. Paqué (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren!
Der vorliegende Gesetzentwurf ist der
Versuch, eine
Reihe von politischen Fehlern zu
korrigieren, die wir alle
in diesem Hohen Hause begangen haben.
„Wir alle“
heißt: die Koalitionsfraktionen CDU
und SPD genauso
wie die Oppositionsfraktionen DIE
LINKE und FDP. Wir
müssen diese Fehler korrigieren. Aber
wir sollten die
Fehler durch politische
Entscheidungen korrigieren und
nicht durch ein neues Gesetz. - Das
ist die Position der
FDP-Fraktion in dieser Sache.
Ich werde diese Position im Folgenden
begründen. Ich
werde dabei auch begründen, warum wir
Liberale im Unterschied
zur Fraktion DIE LINKE die
Gedenkstättenstiftung
weiterhin für einen unverzichtbaren
Rahmen halten,
um das Gedenken der Opfer zweier
deutscher Diktaturen
des 20. Jahrhunderts zu sichern und
zu gestalten.
Zunächst zum Ablauf der Ereignisse.
Der Landtag hat
am 22. März 2006 das
Gedenkstättenstiftungsgesetz beschlossen.
Am 12. Oktober 2006 folgte die Wahl
der Mitglieder
des Stiftungsrates.
In der Folge, vor allem nach der
Konstituierung des Stiftungsrates
am 12. April 2007, erklärte der
Verband der
Opfer des Stalinismus, dass er wegen
der Mitgliedschaft
von Frau Gudrun Tiedge seine
Mitarbeit im Stiftungsrat
aussetzen werde. Die Begründung dafür
lautete, es sei
für die Opfer unzumutbar, über ihre
Verbandsvertreter
mit einer ehemaligen Mitarbeiterin
der Staatssicherheit
und Jugendstaatsanwältin der DDR an
einem Tisch vertrauensvoll
zusammenzuarbeiten.
Wenige Monate später, am 3. Oktober
2007, äußerte
sich Frau Tiedge in einem
deutschlandweit ausgestrahlten
Interview von „Report München“.
Befragt nach ihrer
früheren Tätigkeit als Staatsanwältin
in der DDR stellte
sie fest, dass sie nichts bereue und
ein Staatsanwalt in
der DDR zum größten Teil die gleichen
Arbeiten gemacht
habe wie ein Staatsanwalt in der
alten Bundesrepublik.
- So weit, meine Damen und Herren, in
groben
Zügen der Ablauf der Ereignisse.
Daran ist aus meiner Sicht klar
geworden, dass bei der
seinerzeitigen Personalentscheidung
des Landtages drei
Dinge falsch eingeschätzt wurden:
zum Ersten das hohe Maß an
Sensibilität und Verletzlichkeit,
das auch 17 Jahre nach der deutschen
Wiedervereinigung
die Opfer im Umgang mit den
DDR-Verantwortlichen
kennzeichnet,
zum Zweiten das hohe Maß an Besorgnis
und Empörung,
das in der Öffentlichkeit über die
Ratsbesetzung
herrscht und in Briefen, Anrufen und
E-Mails aus ganz
Deutschland zum Ausdruck kam,
und zum Dritten das noch immer
geringe Maß an Einsicht
und Bedauern, das vielen damals
Verantwortlichen
zu eigen ist und das sich leider auch
bei Frau Tiedge in
der Gleichsetzung der Tätigkeit des
Staatsanwalts im
Rechtsstaat und im Unrechtsstaat
gezeigt hat.
Diese Erkenntnisse verlangen eine
Neueinschätzung der
Lage und diese heißt: Eine
fruchtbringende Zusammenarbeit
im Stiftungsrat ist nur möglich, wenn
Frau Tiedge
auf ihre Mitgliedschaft verzichtet
und DIE LINKE einen
anderen, allgemein akzeptablen
Personalvorschlag für
den Stiftungsrat macht. Nur so können
wir vernünftig
weiterarbeiten - im Interesse aller
Opfer der beiden deutschen
Diktaturen.
Sehr geehrter Herr Gallert, ich
möchte Sie und Ihre
Fraktion und vor allem auch Frau
Kollegin Tiedge selbst
an dieser Stelle nochmals
eindringlich bitten, den Weg
für eine solche Lösung freizumachen.
Noch immer ist
Zeit für eine noble Geste, die
deutlich macht, wie ernst
es auch Ihnen ist, sich um alle Opfer
von Diktaturen auf
deutschem Boden mit ihren Sorgen und
Nöten zu kümmern,
und nicht nur um die Opfer der
Nationalsozialismus.
Dabei ist mir völlig klar, dass die
Opfer und ihre Verbände
sich nicht immer nüchtern, vernünftig
und abgewogen
verhalten, auch der Verband der Opfer
des Stalinismus
nicht, der sich in den letzten Monaten
bei seiner Kritik
des Öfteren im Ton vergriffen hat.
Aber ist das nicht das gute Recht von
Opfern? Sind wir
als Politiker nicht dazu
verpflichtet, für die Verletzlichkeit
der Opfer Verständnis aufzubringen?
Sind wir als Politiker
nicht auch dazu verpflichtet, mit
kühlem Kopf nach
Lösungen zu suchen, die auf Dauer
eine vernünftige
Stiftungsarbeit im Interesse aller
Opfer und der Gesellschaft
gewährleisten?
Deshalb nochmals meine herzliche
Bitte an die Fraktion
DIE LINKE: Werden Sie bitte Ihrer
Gesamtverantwortung
als Landespolitiker gerecht und
machen Sie den
Weg frei für eine vernünftige Lösung
mit unbelasteten
Mitgliedern des Stiftungsrates.
Meine Damen und Herren! Um ein Signal
auf diesem
Weg zu setzen, haben wir als
FDP-Fraktion am vergangenen
Dienstag beschlossen, unsere
Mitarbeit im Stiftungsrat
auszusetzen. Wir haben auch die
Fraktionen
der CDU und der SPD sowie die
Landesregierung aufgefordert,
genauso zu verfahren und damit
politisch
deutlich zu machen, dass der
Stiftungsrat in seiner derzeitigen
personellen Zusammensetzung
außerstande ist,
die anliegenden Aufgaben zu
bewältigen.
Nur der gemeinsame Rückzug aus dem
Rat würde deutlich
machen, dass an einer Neuwahl kein
vernünftiger
Weg vorbeiführt. Wir sind, was die
Handlungsfähigkeit
des Stiftungsrates betrifft, in
gewissem Sinne in einem
politischen Notstand, und dieser
Notstand muss auch
politisch behoben werden.
Meine Damen und Herren! Ein Gesetz
braucht es dazu
nicht. Im Gegenteil: Ein Gesetz wie
das jetzt vorgelegte
trägt unweigerlich den schlechten
Geschmack eines
Einzelfallgesetzes, das allein
deshalb verabschiedet
werden soll, um im Nachhinein ein
einzelnes politisches
Problem zu lösen, das mit einem
einzelnen Stiftungsratsmitglied
zusammenhängt. Ob dies noch rechtlich
zulässig
ist, sei dahingestellt. Wir können
das zu diesem
Zeitpunkt auch nicht beurteilen.
Moralisch ist es sicherlich
nicht der richtige Weg, den die CDU-
und die SPDFraktion
wählen wollen.
Ich kann deshalb an dieser Stelle nur
nochmals eindringlich
an die Fraktionen der CDU und der SPD
und an die
Landesregierung appellieren, zusammen
mit der FDPFraktion
über das Aussetzen der Arbeit im
Stiftungsrat
eine Neubesetzung zu erzwingen. Nicht
der Gesetzgeber,
wohl aber die Politik ist gefordert.
Eines muss allerdings an dieser
Stelle nochmals klar
ausgesprochen werden: Wir verdanken
die missliche Situation
der bisherigen Härte, um nicht zu
sagen Sturheit
der Fraktion DIE LINKE. Bisher hat
DIE LINKE wenig Interesse
daran gezeigt, einen Beitrag zur
Lösung des
Problems zu liefern, obwohl Gespräche
- auch meinerseits
- dazu geführt worden sind. Es macht
bisher fast
ein wenig den Eindruck, als lasse es
DIE LINKE gezielt
darauf ankommen, per Gesetz über die
Ziellinie geschoben
zu werden, um anschließend genug
Munition zu haben,
publikumswirksam über eine
erpresserische Gesetzgebung
zu klagen.
Sehr geehrter Herr Kollege Gallert,
sollte dies ein Hintergedanke
sein, dann wäre dies eine
Verfahrensweise,
die Ihrem eigenen Anspruch als
demokratische Partei
und Fraktion nicht gerecht wird. Denn
Demokratie ist
nicht nur eine Ansammlung von
Verfahrensregeln mit
Mehrheitsentscheidungen. Demokratie
ist auch und gerade
eine geistige Haltung, die auch in
schwieriger Lage
konstruktive Lösungen im Konsens
möglich macht, wenn
sie im allgemeinen Interesse liegen.
Dies ist hier klar der
Fall, da es um die Zukunft der
Gedenkstättenstiftung
geht.
Allerdings haben Ihre jüngsten
Forderungen, Herr Gallert,
nach einer Auflösung der
Gedenkstättenstiftung
Zweifel aufkommen lassen, ob DIE
LINKE an dieser Zukunft
überhaupt interessiert ist.
Anscheinend will DIE
LINKE die Gelegenheit nutzen, die
Stiftung selbst zu
zerschlagen, um organisatorisch jene
größtmögliche
Distanz zwischen den beiden
Diktaturen auf deutschem
Boden herzustellen, die ihr
ideologisch zusagt: auf der
einen Seite Faschismus und
Nationalsozialismus, auf
der anderen Seite Kommunismus und
DDR-Sozialismus.
Meine Damen und Herren! Eine solche
Trennung wäre
fatal für die Kultur des Gedenkens an
die Opfer der Diktaturen
auf deutschem Boden.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU
- Zustimmung
von Herrn Bischoff, SPD, und von
Herrn
Felke, SPD)
Sie würde unser Land spalten, und
zwar sowohl in der
mahnenden Erinnerung als auch in der
historischen Interpretation der Ereignisse. Gerade das wollen wir Liberale
nicht. Ich hoffe, dass alle in diesem
Hohen Hause
diese Spaltung nicht wollen. Wir
wollen doch in Deutschland
zusammenwachsen und uns gemeinsam um
unsere
gemeinsame Geschichte kümmern,
einschließlich ihrer
dunklen Kapitel.
Deshalb muss die
Gedenkstättenstiftung in diesem Land
eine Zukunft haben, trotz der
Schwierigkeiten, mit denen
sie derzeit zu kämpfen hat. Lassen Sie
uns diese
Schwierigkeiten gemeinsam lösen, und
zwar ohne Gesetzesänderung.
(Beifall bei der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir als FDPFraktion
werden für eine Überweisung des
Gesetzentwurfs
an den Innenausschuss zur näheren
Prüfung
stimmen. Wir werden aber weiterhin
für eine politische
Lösung des Notstands der
Gedenkstättenstiftung arbeiten,
also für eine Lösung, die ohne eine
Gesetzesänderung
auskommt. - Ich bedanke mich für Ihre
Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP - Zustimmung von
Herrn Zimmer,
CDU)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Professor Paqué. -
Für die SPD-Fraktion
spricht nun Herr Bischoff.
Herr Bischoff (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Bevor ich zu
meinem Redebeitrag komme, will ich
zumindest ganz
kurz auf Sie, Herr Professor Paqué,
eingehen, weil ich
nachher einfach ungestört
weitermachen will.
Nachdem wir den Gesetzentwurf vor
wenigen Tagen
eingebracht hatten, haben Sie zwei
Tage später so reagiert.
Ich finde das ein bisschen billig.
Denn das, was Sie
jetzt vorschlagen, jemanden
zurückzuziehen, hätten wir
vor einem halben Jahr auch machen
können. Wir haben
darüber längst hin und her überlegt.
Wir sind allerdings zu der Frage
gelangt: Was haben wir
davon? Welche Lösung haben wir
erreicht, wenn alle
drei Vertreter zurücktreten und eine
Person bleibt? - Sie
haben jetzt keine Lösung
vorgeschlagen, sondern haben
an alle appelliert, dass es
politisch-moralisch eine Lösung
geben müsse. Darüber würden wir uns
auch freuen,
aber wenn diese nicht möglich ist,
muss es eine andere
Lösung geben. Und an dieser Lösung
haben Sie
bis jetzt nicht mitgewirkt.
(Beifall bei der SPD und bei der CDU
- Zustimmung
von der Regierungsbank)
Deshalb finde ich es etwas unredlich,
wenn Sie den Anschein
erwecken, Sie würden eine Lösung
parat haben
oder mit Ihrem Schritt eine Lösung
präferieren. Darüber,
ob man diesen Weg gehen kann, haben
wir längst
nachgedacht. Das wissen Sie auch. Es
ist kein gangbarer
Weg.
(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Warum
nicht?)
- Wenn eine Person sagt, dass sie es
nicht tun will,
kommen wir keinen Schritt weiter. Sie
haben das noch
nicht gesagt, ich komme nachher noch
dazu. Wir sind
mittlerweile aufgefordert worden,
auch von den Opferverbänden,
eine gesetzliche Regelung zu schaffen,
wenn es nicht anders geht. Darauf
haben Sie noch keine
Antwort gegeben. Ich versuche es
nachher und stehe
Ihnen, wenn Sie eine Frage stellen
wollen, am Ende
meiner Rede gern zur Verfügung.
Mit dieser Gesetzesänderung wollen
wir den Weg frei
machen, der Gedenkstättenstiftung
eine vernünftige
Weiterarbeit zu ermöglichen. Das ist
der einzige Grund,
warum wir gemeinsam mit dem
Koalitionspartner mit
dieser Gesetzesänderung die
Mitglieder des Stiftungsrates
abberufen wollen.
Ich glaube, es ist müßig zu beklagen
- jedenfalls sehe
ich das so -, dass der Landtag, also
alle Abgeordneten,
die Vertreterinnen und Vertreter der
Fraktionen in den
Stiftungsrat gewählt hat und nun
wieder zurückzieht. Auf
jeden Fall war uns damals nicht klar
- das ist sicherlich
ein Mangel -, dass unsere
Entscheidung dazu führen
würde, dass die Arbeit des
Stiftungsrates blockiert und
behindert würde.
Auch die Frage, ob einem Mitglied des
Beirates, also
dem Opferverband, ein Vetorecht
eingeräumt wird - das
mag juristisch interessant sein -,
steht für uns nicht im
Vordergrund. Derjenige, der in diesem
Land unmenschliches
Leid erfahren hat und für den es eine
unüberwindliche
Hürde ist, mit jemandem an einem
Tisch zu sitzen,
weil er in diesem einen Vertreter
oder eine Vertreterin
seiner einstigen Peiniger sieht, der
darf eine solche Haltung
haben. Wir sollten und dürfen uns
nicht anmaßen,
über dessen Gründe zu urteilen.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und
von der
Regierungsbank)
Allein den Umstand, dass die Opfer
eine Grenze setzen,
müssen wir respektieren.
Wir haben die E-Mails bekommen. Aus
diesen Mails
spricht nicht nur Verletzung, sondern
manchmal auch
Hass. Aus ihnen spricht auch, dass
einige tatsächlich so
gelitten haben, dass sie davon krank
geworden sind.
Trotzdem geht es uns um die
Perspektive der Opfer.
Es geht nicht darum, wie wir oder wie
ich Frau Tiedge
heute beurteilen, sondern es geht um
die Opfer. Es geht
nicht darum, ob sie ein Recht haben,
ob sie Einspruchsrechte
haben oder ob nur sie die Geschichte
richtig beurteilen
können. Für uns hat einfach ihre
Perspektive
den Vorrang.
Hätten wir das vor einem Jahr
voraussehen können oder
müssen? Für unsere Fraktion kann ich
sagen, dass wir
das damals vielleicht nicht genügend
thematisiert haben.
Wir haben uns vielmehr damit auseinander
gesetzt, wie
das möglich ist - wer in den
Protokollen nachgelesen
hat, wird das wissen - und ob das
zusammengehen
kann, sozusagen beide Diktaturen
unter einem Dach zusammenzuführen
und zu schauen, wie das die Verbände
sehen. Dazu gab es damals schon
unterschiedliche
Sichtweisen.
Wir haben die Personalien nicht
thematisiert. Und wir
werden auch heute in der Fraktion zur
Person von Frau
Tiedge sicherlich unterschiedliche
Sichtweisen haben.
Das wird sich auch in der Abstimmung
widerspiegeln.
Unbestritten ist, dass es keine
grundsätzlichen Bedenken
in Bezug auf die Arbeit von Frau
Tiedge im Parlament
gibt. Ich habe jedenfalls, solange
ich im Parlament
bin, noch keine gehört. Das betrifft
auch die Einschätzung
des Ausschusses zur Überprüfung auf
Stasi-Mitarbeit,
der nicht die Empfehlung abgegeben
hat, dass
sie ihr Mandat aufgeben müsste.
Aber, sehr geehrte Frau Tiedge, Sie
hätten uns diese
Prozedur heute ersparen sollen bzw.
müssen. In einem
so sensiblen Bereich wie der
Aufarbeitung unserer
jüngsten Vergangenheit wäre es meines
Erachtens der
richtige Schritt gewesen, die Stelle
für eine Neubesetzung
freizumachen.
(Zustimmung bei der SPD)
Es geht nicht darum, Ihre persönliche
Entwicklung
- schon gar nicht nach der Wende -
oder Ihre Seriosität
in Zweifel zu ziehen. Es geht auch
nicht darum, der
LINKEN - zumindest nicht in diesem
Land - zu unterstellen,
sie würde sich nicht mit ihrer
Vergangenheit auseinander
setzen. Ob dies ausreichend ist oder
von allen so
vertreten wird, wird sicherlich
unterschiedlich beurteilt.
Es bleibt übrigens eine Aufgabe der
gesamten Gesellschaft,
sich mit der eigenen Vergangenheit
auseinander
zu setzen und alles zu tun, damit
solche undemokratischen
und diktatorischen Systeme keine
Chance mehr
haben. Dazu gehören sicherlich die
Vermittlung von
Wissen um die DDR, ihre Strukturen
und Machtinstrumente,
ihre totalitären Handlungsweisen und
ihre menschenfeindlichen
Entscheidungen, aber auch die
Vermittlung
von Wissen um Opposition, um
Zivilcourage,
um die Opfer, aber auch um Anpassung
und Nischenflucht
sowie um das ehrliche Bemühen,
innerhalb eines
undemokratischen Systems
Menschlichkeit und soziales
Verhalten zu leben und zu vermitteln.
Welche Motive und welche
Einstellungen jeden Einzelnen
bewogen haben, sich so oder so zu
verhalten, sich
mehr oder weniger in das System
einzubinden, bewusst
oder aus Opportunität innerhalb der
Partei und damit innerhalb
der Blockparteien, der Nationalen
Front und der
Organisationen mitzumachen, das
entzieht sich meines
Erachtens einer objektiven
Betrachtung. Das muss jeder
Einzelne ein Stück weit mit sich
selbst ausmachen.
Aber jeder Einzelne - damit meine ich
auch Frau Tiedge
- hat dafür zu sorgen, ein Klima zu
schaffen, das eine
Aufarbeitung ermöglicht, das ein
Schuldeingeständnis
und einen Neuanfang ermöglicht, das
Biografien nicht
entwertet bzw. abwertet und das ein
differenziertes Miteinander-
Umgehen ermöglicht.
(Zustimmung bei der SPD)
Die Wende im Jahr 1989 war eine
friedliche Revolution.
Das ist das Markenzeichen dieses
Wandels und der
Wiedervereinigung. Darauf hat damals
auch Professor
Dr. Böhmer hingewiesen, als es damals
noch um den
Ausschuss für Recht und Verfassung ging.
Es geht auch
um den friedlichen Umgang
untereinander - das möchte
ich betonen -, auch zwischen den
ehemals Verantwortlichen
und den Opfern. Das war das
Markenzeichen dieser
Revolution.
Dass ein solcher Prozess, friedlich
miteinander umzugehen,
von vielen menschliche, ja
übermenschliche Größe
verlangt, ist unbestritten. Dazu
gehören sicherlich die
Bereitschaft zur Versöhnung sowie das
Eingeständnis
von Schuld und Versagen und von
mangelnder Zivilcourage.
Dafür eine gesellschaftliche
Atmosphäre zu schaffen,
die eine solche Bereitschaft fördert,
ist die Aufgabe
eines jeden Einzelnen.
Gerade wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten
wissen um diesen schmerzlichen
Prozess. Unter uns
gibt es Menschen, die unter beiden
Systemen gelitten
haben, die verfolgt und ausgewiesen
wurden. Es gibt
aber auch Menschen, die umgebracht
worden sind. Wir
haben es uns nach der Wende auch
nicht einfach gemacht
mit der Frage, wie wir mit ehemaligen
Funktionsträgern
und SED-Mitgliedern umgehen.
Deshalb möchte ich noch einmal unsere
Einstellung dazu
deutlich machen: Wir unterbreiten das
Angebot, weiter
daran zu arbeiten, miteinander Dinge
aufzuarbeiten
und eine Atmosphäre schaffen, in der
das möglich ist.
Herr Gallert, zwei Stiftungen - für
die Zeit vor 1945 und
für die Zeit nach 1945 - halte ich
nicht für einen Ausweg.
Es gehört zur Tragik unserer
Geschichte, dass in den
Gefängnissen nacheinander Opfer
beider Systeme gelitten
haben und Gepeinigte umgebracht
wurden. So
schwierig es ist, dies zusammen zu
sehen, ohne es
gleichzusetzen, bleibt eine
gemeinsame Aufgabe. Denn
spätestens an diesem Punkt müssten
sich beide Stiftungen
wieder treffen und darüber sprechen,
wie sie an diesen
Orten das Gedenken und die Erinnerung
wach halten.
Deshalb halte ich das für keinen
Ausweg.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei
der CDU
und von der Regierungsbank)
Im Übrigen ist das eine Aufgabe für
das geeinte Deutschland.
Man hat schon manchmal den Eindruck,
dass diese
Bewältigung allein den Ostdeutschen
zugeschoben
wird. Die Entwicklung in der DDR war
eingebunden in
eine Nachkriegsordnung, in der zwei
Weltsysteme verbunden
waren. Es ist müßig zu überlegen, ob
die DDR
überhaupt eine Chance hatte,
innerhalb des Ostblocks
auszubrechen. Auch das muss
betrachtet werden.
Ich habe beim letzten
Historikerkongress in Basel leider
festgestellt, dass dieses Thema
überhaupt nicht erwähnt
worden ist. Ich hatte den Eindruck,
dass man, wenn es
um Geschichtsverarbeitung geht und
man von deutscher
Vergangenheitsbewältigung spricht, zum
einen die Entwicklung
in Westdeutschland meint und zum
anderen
die Entwicklung im Osten, womit dann
der gesamte Osten
und nicht nur die DDR gemeint ist.
Man glaubt teilweise
nicht, dass unsere Geschichte auch
eine gesamtdeutsche
Geschichte ist. Sich dafür
einzusetzen, dass
das im Blick behalten wird, ist eine
wichtige Aufgabe.
Wir Sozialdemokraten plädieren
weiterhin für einen offenen,
fairen und differenzierten Blick auf
unsere Geschichte.
Dafür kann und soll die
Gedenkstättenstiftung
einen wichtigen Beitrag leisten. -
Danke schön.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und
von der
Regierungsbank)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Herr Bischoff, es gibt eine Frage von
Herrn Paqué.
- Bitte schön.
Herr Prof. Dr. Paqué (FDP):
Herr Bischoff, bei allem Respekt vor
Ihrem Vortrag - ich
möchte an dieser Stelle den Vorwurf
eines, wie Sie es
genannt haben, billigen Vorgehens
unserer Fraktion zurückweisen.
(Beifall bei der FDP)
Ich möchte an Sie die Frage stellen,
warum Sie folgende
Vorgehensweise als unmöglich ansehen
würden: Wenn
am Montag die überwältigende Mehrheit
der Mitglieder
des Stiftungsrates - das sind
Vertreter der Fraktionen,
der Regierung und anderer
Organisationen - die Mitarbeit
im Stiftungsrat aussetzen wird, dann
wird der Stiftungsrat nicht mehr vernünftig weiterarbeiten können.
Damit wird eine politische Lösung
gefunden werden
müssen. - Das ist genau der Weg, den
wir uns vorstellen.
(Unruhe bei der CDU)
Das ist ohne Weiteres möglich. Dazu
bedarf es nicht eines
neuen Gesetzes.
(Herr Stahlknecht, CDU: Warum?)
Herr Bischoff (SPD):
Herr Professor Paqué, vielleicht ist
das Wort „billig“, das
ich vorhin gesagt habe, zu hart
gewählt gewesen. Das
will ich zugeben.
Über die zweite Schlussfolgerung, die
Sie ziehen, haben
auch wir nachgedacht. Wir haben alles
hin und her überlegt;
wir wurden doch auch gedrängt. Ob es
am Ende
funktioniert, wenn wir alle
zurücktreten, wissen wir nicht;
denn die Opferverbände haben deutlich
gesagt, sie hätten
nicht mit den anderen ein Problem,
sondern nur mit
einer Person, mit der sie nicht
zusammenarbeiten könnten.
Das müssen wir respektieren. Deswegen
haben wir
gesagt, wir müssen eine Lösung dafür
finden.
Natürlich haben wir mit den LINKEN
geredet, sie gebeten
und danach gefragt, ob nicht ein
anderer Schritt
möglich sei. Es ist bis heute nicht
möglich. Deshalb haben
wir uns gezwungen gesehen, diesen
Schritt mit dieser
Gesetzesänderung zu tun.
(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU
und von
der Regierungsbank)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Es gibt noch eine weitere Nachfrage.
Frau Hüskens, bitte.
Frau Dr. Hüskens (FDP):
Herr Bischoff, ich möchte eine
Nachfrage dazu stellen.
Wenn man in § 7 des Gesetzes, den Sie
jetzt anfassen,
sieht, dann steht explizit darin, wer
Mitglied des Stiftungsrates
ist: vier Vertreter aus dem Landtag
sowie
Vertreter aus dem Justizministerium,
dem Innenministerium,
dem Finanzministerium, dem
Kultusministerium
und der Landeszentrale. Die sind die
Mitglieder. Diese
werden durch je ein Vorstandsmitglied
aus den Beiräten
ergänzt.
Wenn die Regierungsfraktionen zu der
Auffassung gelangen,
dass sie zurücktreten wollen, dann -
davon gehe
ich einmal aus - werden auch die
Vertreter der Landesregierung
zurückgezogen. Dann wäre dieser
Stiftungsrat
beschlussunfähig. Dann müsste die
Stiftungsaufsicht
handeln.
(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Richtig!)
Wenn das so ist, dann ist mir
wirklich nicht klar, warum
Sie diesen Weg nicht für gangbar
halten. Das ist für
mich völlig unklar.
Mich persönlich wundert, warum man
sich über diesen
Weg nicht schon vor einem halben Jahr
verständigen
konnte und es überhaupt so weit hat
kommen lassen.
(Frau Budde, SPD: Weil dazu noch
mehrere Partner
gehören, mit denen man sich
verständigen
muss! Also!)
Herr Bischoff (SPD):
Ich will einmal mit der Frage
anfangen, warum man sich
darauf nicht vor einem halben Jahr
verständigen konnte.
Vor einem halben Jahr habe ich einen
solchen Vorschlag
von Ihnen nicht gehört.
(Frau Dr. Hüskens, FDP: Sie haben
mich nicht
gefragt!)
Den höre ich heute zum ersten Mal.
Sie wissen, dass wir
das hoch und runter überlegt haben.
(Widerspruch bei der FDP)
Ich höre diesen Vorschlag zum
allerersten Mal.
(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Das haben
wir immer
deutlich gesagt!)
Ich habe auch von niemand anderem die
Bereitschaft
mitbekommen, so handeln zu wollen.
Ich müsste meine Fraktion fragen, wer
diesen Vorschlag
von Ihnen kennt. Ich habe es genau so
empfunden, dass
erst nachdem wir diesen Schritt
gegangen sind und Sie
eingeladen haben, die Reaktionen von
Ihnen gekommen
sind.
(Unruhe bei der FDP)
Wir hätten uns gern gemeinsam
hingesetzt. Sie hätten
uns auch einladen können. Wir hätten
jede Einladung
angenommen, die dazu beigetragen
hätte, eine Lösung
zu finden. Daher finde ich es nicht
gut, wenn Sie uns
jetzt sozusagen vorführen wollen, als
ob wir nicht an einer
Lösung interessiert wären. An der
sind wir auf jeden
Fall interessiert.
Wir sind jetzt zu der Meinung
gekommen, dass die Lösung
per Gesetzesänderung besser und
eindeutiger ist.
Wenn Sie eine andere favorisieren,
dann kann ich das
nicht ändern. Dann hätten wir darüber
vielleicht früher
reden sollen. Ich weiß es nicht. Es
ist nicht darüber geredet
worden. Wir haben den jetzt vorgeschlagenen
Weg gewählt.
(Herr Stahlknecht, CDU: Richtig!)
Ich will nur sagen, wir hatten Sie -
- Das reicht eigentlich.
(Zustimmung bei der SPD)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Bischoff. - Nun
erteile ich Herrn Gallert
das Wort, um für die LINKE zu
sprechen.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Werter Herr Präsident! Werte
Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! Der vorliegende
Gesetzentwurf der Koalition
zur Änderung des
Gedenkstättengesetzes wird von
uns unter zwei Aspekten thematisiert:
Zum einen müssen wir uns mit dem Fakt
auseinander
setzen, dass wir es hierbei mit einer
Lex Tiedge zu tun
haben und uns auf dieser Ebene
positionieren. Zum anderen
aber zwingt uns das Vorgehen der
Koalition zu einer
öffentlichen Analyse der Arbeit der
Gedenkstättenstiftung
und der aktuellen
geschichtspolitischen Diskussion.
Zuerst ist es jedoch wichtig, die
Fakten zur Auseinandersetzung
in und um die Gedenkstättenstiftung
darzulegen, Fakten, die, wenn
überhaupt, nur sehr selektiv
politisch und medial wahrgenommen werden.
Dazu gehören als Erstes die
öffentlichen Auseinandersetzungen
um die Mitgliedschaft von Gudrun
Tiedge im
Stiftungsrat. Nach der entsprechenden
Wahl im Landtag
und der konstituierenden Sitzung des
Stiftungsrates traten
die Vorsitzenden der Vereinigung der
Opfer des Stalinismus
und des Bundes stalinistisch
Verfolgter mit der
Position an die Öffentlichkeit, dass
sie in dieser Stiftung
nicht mitarbeiten würden, weil Gudrun
Tiedge Mitglied
des Stiftungsrates geworden sei.
Gemeint war von Anfang an jedoch
etwas anderes,
nämlich dass Gudrun Tiedge aus diesem
Rat zurückzutreten
habe. Wer dies bezweifelt, schaue
sich bitte die
Aussagen von Johannes Ring gegenüber
der dpa vom
22. Oktober 2007 an.
Dem ging unter anderem ein Gespräch
seitens der genannten
Opferverbände, der
Stasi-Unterlagenbeauftragten
und des Vereins Zeitgeschichte aus
Halle voraus, an
dem Gudrun Tiedge und ich teilnahmen
und bei dem wir
unsere Entscheidung, Gudrun Tiedge zu
nominieren,
begründet haben. Am Ende des
Gesprächs stand jedoch
die Feststellung seitens der
Vertreter dieser Opferverbände,
dass eine inhaltliche Diskussion über
die Ansichten
und die Tätigkeit von Frau Gudrun
Tiedge nach dem
Jahr 1990 für die Positionierung der
Opferverbände völlig
belanglos sei, sondern ihre Tätigkeit
vor dem Jahr
1989 ein zwingendes
Ausschlusskriterium darstelle.
Deshalb ist es wichtig, sich diesen
Bereich ihrer Biografie
noch einmal anzuschauen. Dazu werden
im Wesentlichen
zwei Vorwürfe erhoben:
Der erste betrifft ihre Tätigkeit als
IM. Dazu gab jedoch
bereits der
Stasi-Untersuchungsausschuss dieses Landtages
im Jahr 2005 unter der Leitung von
Herrn Ruden
die uns bekannte Wertung ab.
Der zweite zentrale Vorwurf richtet
sich gegen ihre Tätigkeit
als Jugendstaatsanwältin. Dazu ist
Folgendes zu
sagen: Eine differenzierende
Bewertung von Menschen,
die in der DDR-Zeit solche Berufe
ausgeübt haben, erscheint
uns notwendig. Wenn ich mir die Biografien
von
politischen Repräsentanten der
Fraktionen anschaue,
die diesen Gesetzentwurf eingebracht
haben, dann
scheint dies auch in diesen
Fraktionen Konsens zu sein.
Trotzdem, auch ich bin der Meinung,
dass es individuelle
Ausschlussgründe für eine solche
Funktion geben kann,
die in der Tätigkeit vor dem Jahr
1989 liegen. Eine differenzierende
Betrachtung führt uns bei Gudrun
Tiedge
aber eben zu einem anderen Schluss.
Der von der letzten DDR-Volkskammer
initiierte Staatsanwälte-
Wahlausschuss hat in Ansehung und
ausführlicher
Diskussion vor allem der in Rede
stehenden Urteile
zu Grenzverletzungen Gudrun Tiedge
mit einer Zweidrittelmehrheit
für eine weitere Tätigkeit empfohlen.
Diese
Empfehlung bekam eine außerordentlich
geringe Zahl
von ehemaligen Staatsanwälten der
DDR. Abgesehen
von unmittelbaren Berufseinsteigern
sprechen wir von
weniger als 10 % der
DDR-Staatsanwälte.
Bitte verstehen Sie mich nicht
falsch: Jede polizeiliche
oder justizielle Verfolgung eines
Menschen, weil er sein
Menschenrecht auf Freizügigkeit
anwenden will, ist eine
klare Menschenrechtsverletzung und
durch keine politische
Zielstellung zu legitimieren. Wenn
wir die Personen
aber heute im Jahr 2007 im Einzelnen
auf ihre Befähigung
für eine aktive Gestaltung in einer
demokratischen
Gesellschaft hin befragen, dann muss
eine differenzierende
Wahrnehmung möglich sein.
Werte Kollegen von der SPD und der
CDU! Man hat mit
einer breit angelegten Kampagne seit
Monaten versucht,
Opfer von Gudrun Tiedge zu finden.
Vor allem der Bayerische
Rundfunk hat in Zusammenarbeit mit
den bereits
genannten Opferverbänden eine
intensive Medien- und
Internetkampagne dazu gestartet. Sie
blieb bis heute erfolglos.
Wir können nicht ausschließen, dass
sich heute jemand
als Opfer von Gudrun Tiedge fühlt,
aber es ist eben auch
wichtig zu wissen, dass diese Suche,
die übrigens schon
im Jahr 1998 eingesetzt hat, also
seit fast zehn Jahren
läuft, erfolglos blieb.
Trotzdem haben Sie, werte Kollegen
der Koalition, den
Forderungen der beiden genannten
Opferverbände entsprechend
einen Gesetzentwurf eingebracht, der
dazu
dient, Gudrun Tiedge aus dem
Stiftungsrat zu entfernen.
Um es ganz klar zu sagen: Selbst wenn
Sie diese Logik
in Ihren eigenen Reihen immer
anwenden würden, hielten
wir sie für grundfalsch. Da Sie aber,
wenn es um das
eigene Personal geht, völlig andere
Bewertungskriterien
anlegen und auch regelmäßig vor den
Wahlen andere
Signale aussenden, sagt dieser
Gesetzentwurf wenig
über Gudrun Tiedge, aber viel über
die Autoren aus.
Eigentlich wichtiger als diese Auseinandersetzung
ist jedoch
eine Analyse der Situation der
Gedenkstättenstiftung
im Ganzen. Dabei trifft man auf
Erstaunliches.
Während sich Fernsehanstalten und
Zeitungen gegenseitig
in der Berichterstattung über den so
genannten
Fall Tiedge übertreffen, befindet
sich vor allem der Stiftungsbeirat
für die Zeit von 1933 bis 1945 in
einem desaströsen
Zustand, ohne dass das wirklich
jemanden zu
interessieren scheint.
Kommen wir zu den Dingen im
Einzelnen: Das im Gesetz
aufgeführte Dokumentations- und
Kulturzentrum
Deutscher Sinti und Roma hat von
Anfang an seine Mitwirkung
in dieser Stiftung verweigert. Grund
dafür ist
zum einen seine Einschätzung, dass es
in Sachsen-
Anhalt ähnlich wie in Sachsen zu
einer nicht zu akzeptierenden
Nivellierung zwischen dem Völkermord
der NSZeit
und den Menschenrechtsverletzungen in
der DDR
komme.
Darüber hinaus betrachtet die
Interessenvertretung der
Sinti und Roma die zwingend
vorgesehene Stasi-Überprüfung
als substanzielles Misstrauen des
deutschen
Staates gegenüber den Sinti und Roma,
wofür diese gegenüber
dem deutschen Staat - übrigens auch
gegenüber
der Bundesrepublik Deutschland, aber
eben nicht
umgekehrt - ausdrücklich Grund haben.
Diese Opfergruppe
wird also nicht mitarbeiten, solange
es diese
Stasi-Überprüfung im Beirat gibt.
Der Verband der
Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten
hat seine Mitarbeit in der Stiftung
beendet.
Gegenüber dem Ministerium erfolgte
dieser Schritt mit
der Begründung der Wahl des
Stiftungsdirektors. Begründet
wird dies nicht im Detail. Aber nach
einem sachlichen
Grund muss man nicht lange suchen,
wenn dieser
Verband in dem Schreiben des
Stiftungsdirektors nicht
einmal richtig benannt wird. Es ist
also ganz klar: Solange
Herr Scherrieble Stiftungsdirektor
ist, wird dieser
Opferverband nicht mitarbeiten.
Drittens. Obwohl es keine formelle
Absage gibt, erfolgt
bisher keine Mitarbeit des
Zentralrates der Juden in
Deutschland. Es gibt die Benennung
von Herrn Professor
Dr. Korn, der für den gesamten
Gedenkstättenbereich im Zentralrat der Juden verantwortlich und
außerdem noch Vorsitzender der
Jüdischen Gemeinde
von Frankfurt am Main ist.
Seine Vertretung nimmt deshalb im
Normalfall Herr Peter
Fischer für den Zentralrat wahr, zum
Beispiel in
Brandenburg und Thüringen. Herr
Fischer hat sich aus
den folgenden Gründen nicht für den
Stiftungsbeirat nominieren
lassen: Zum einen hat er sehr
deutlich formuliert,
dass die regelhafte Stasi-Überprüfung
von Beiratsmitgliedern
ein dezidiertes Misstrauen gegenüber
den
delegierenden Institutionen, in
seinem Fall also dem
Zentralrat, darstellt.
Zum anderen führt er an, dass die Art
und Weise der
Diskussion um die Gedenkstätten in
Sachsen-Anhalt eine
Mitarbeit für ihn unmöglich macht.
Als Beispiel benennt
Herr Fischer die Diskreditierung
seiner Person
durch den Vorsitzenden des Verbandes
der Stalinistisch
Verfolgten in der Diskussion um die
Torgauer Urnen.
Herr Fischer sagte dazu:
„Niemand kann von mir verlangen, dass
ich in einer
Stiftung mit solchen Leuten
zusammenarbeite.“
Die beiden letzten verbliebenen
Vertreter in diesem Beirat,
der Vertreter des VdN/BdA und der
Vertreter der
evangelischen Kirche, haben sich in
der Diskussion um
Gudrun Tiedge positioniert. Herr
Steinhäuser forderte in
einem Leserbrief dazu auf, die Wahl
von Frau Tiedge zu
akzeptieren. Vom VdN/BdA gibt es eine
Pressemitteilung,
in der sich der Sprecherrat eindeutig
zu einer Zusammenarbeit
mit Gudrun Tiedge bekennt und sich
für
ihre engagierte Arbeit bedankt.
Warum aber, frage ich Sie, haben wir
es mit einer allgewaltigen
Medienschlacht um Gudrun Tiedge zu
tun und
warum scheint es darüber hinaus fast
völlig egal zu sein,
welche Hinderungsgründe andere
Opferverbände, nämlich
die aus der Zeit des Faschismus,
haben, in dieser
Stiftung mitzuarbeiten? Was also
macht die Mitarbeit
des Verbandes der Opfer des
Stalinismus unverzichtbar,
während man auf die Sinti und Roma,
den Zentralrat der
Juden sowie den Verband der Euthanasiegeschädigten
und Zwangssterilisierten offenbar
verzichten kann? Was,
liebe Kollegen von der CDU und der
SPD, ist Ihr Grund
für diese Unterscheidung?
Das ist für uns die entscheidende
Frage. Um sie beantworten
zu können, muss man sich die aktuelle
geschichtspolitische
Auseinandersetzung anschauen.
Eine Antwort gibt uns in
dankenswerter Klarheit Professor
Dr. Klaus Schroeder. Er ist der
Leiter des Forschungsbundes
SED-Staat an der FU Berlin und von
der
CDU benannter Sachverständiger beim
Gedenkstättenstiftungsgesetz
des Bundes. Er hat das übersichtlich
in
einem Artikel in der Tageszeitung
„Die Welt“ vom 7. November
2007 dargelegt.
Demnach geht es im Wesentlichen
darum, die DDR- und
die nationalsozialistische
Terrorherrschaft in der Erinnerungskultur
unter den Begriffen „Diktatur“ und
„totalitäre
Systeme“ von ihrem Wesen her als
ähnlich, wenn nicht
sogar als weitgehend identisch
darzustellen. Dem gegenüber
steht die freiheitlich-demokratische
Grundordnung.
Dieses bipolare Weltbild soll das
verbindliche
Geschichtsbild sein. Dabei stören
natürlich all diejenigen,
die eine solche These nicht mittragen
und sich mit
ihrer DDR-Biografie nicht in ein
einfaches Täter-Opfer-
Schema pressen lassen. Dazu gehören
konsequenterweise
aber auch all diejenigen, die
folgende Position
vertreten - ich zitiere noch einmal
Herrn Fischer -:
„Deshalb verbietet es sich, die
Tatsachen über
einen Kamm zu scheren; denn im
Verwischen
der qualitativen Unterschiede
historischer Zusammenhänge
entstehen ähnliche Defekte im
Hinblick
auf die Glaubwürdigkeit, wie sie aus
der Zeit
des einseitig machtpolitischen
Antifaschismus der
Kommunisten zu DDR-Zeiten bekannt
sind. Ein
Zeitbogen von 1933 bis 1989, die
Herstellung eines
solchen Kontinuums verbietet sich aus
der
Sicht des Zentralrates.“
Herr Scharf hat mit seiner Frage:
„Was würden Sie denn
davon halten, wenn ein NS- Verbrecher
darin wäre?“,
genau dies skizziert.
Übrigens, werte Kollegen von der CDU
und der SPD, ein
solches bipolares Geschichtsbild wie
das von Professor
Dr. Schroeder ist für mich nicht neu.
In der DDR habe
ich gelehrt bekommen, dass die
Bundesrepublik
Deutschland nach 1949 und das
Terrorregime von 1933
bis 1945 nur zwei Spielarten des
entwickelten Kapitalismus
sind, dem der unangreifbar überlegene
Sozialismus
gegenübersteht.
Meine Damen und Herren! Wir sind
nicht bereit, das eine
bipolare Geschichtsbild durch das
andere austauschen
zu lassen, zumal wir uns über die
politische Funktion eines
solchen Vorgehens im Klaren sind.
Dies aber ist der
eigentliche Hintergrund der
Auseinandersetzung, über
die wir hierbei reden.
Abschließend sind wir als Fraktion zu
der Auffassung
gelangt, dass die
Gedenkstättenstiftung für die Zeit
von 1933 bis 1989 selbst nach der
jetzt vorgeschlagenen
Fassung des Gesetzes gescheitert ist.
Eine demokratische
Erinnerungskultur lässt sich aus
unserer Sicht
in Sachsen-Anhalt nur noch in zwei
getrennten Stiftungen
realisieren.
Wir lehnen den vorgelegten
Gesetzentwurf ab. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Gallert. - Möchten
Sie eine Frage von
Herrn Bischoff beantworten?
Herr Gallert (DIE LINKE):
Ja.
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Bitte schön.
Herr Bischoff (SPD):
Herr Gallert, mir geht es um die
Stellungnahme der Verbände,
die Sie erwähnt haben, die nicht
mitmachen wollen.
Zu uns sind sie nicht gekommen. Ich
habe das nur
allgemein erfahren.
Nachdem ich es noch einmal
nachgelesen habe, weiß
ich nun: Als das Innenministerium den
Entwurf des Gedenkstättenstiftungsgesetzes
eingebracht hat, wurde in
der Begründung zu dem Gesetzentwurf
auch erwähnt,
dass die Verbände angeschrieben
worden sind und Stellungnahmen
abgegeben haben. Schon in diesen
Stellungnahmen
haben sowohl Sinti und Roma als auch
der
Verband der Euthanasiegeschädigten
ihre Bedenken
vorgetragen. Das wurde in den
Ausschussberatungen
wahrscheinlich nur gestreift. Man hat
sich trotzdem darauf
geeinigt, die Stiftung zu gründen.
Dem haben auch
die LINKEN zugestimmt. Es war also
vorher bekannt.
Weshalb ist es jetzt nachträglich
eskaliert? - Das ist
meine erste Frage.
Die zweite Frage lautet: Ist es nicht
trotz dieser Probleme
wichtig, dass wir an den Orten, die
es gibt, den Versuch
einer Lösung unternehmen? Von jedem,
der darin
vertreten ist, wird erwartet, dass er
den anderen respektiert
und dass nicht gegenseitig
aufgerechnet oder verharmlost
wird. Ist es dann nicht eine Aufgabe,
das in einer
Stiftung zu machen?
Herr Gallert (DIE LINKE):
Herr Bischoff, ich will Ihnen ganz
ehrlich sagen: Es gab
bei uns noch einmal eine ausführliche
Diskussion über
die Frage: Haben wir damals einen
Fehler gemacht, als
wir dieser Konstruktion der
Gedenkstättenstiftung zugestimmt
haben, die übrigens aus dem
Innenministerium
gekommen ist und eher dem sächsischen
Modell folgt?
Das ist nun abgewendet worden. Wir
haben jetzt eine
vergleichbare Situation in
Brandenburg. Dort funktioniert
es. Das Interessante ist, dass es in
Sachsen-Anhalt
nicht funktioniert. Das hat nicht nur
etwas mit der Struktur,
sondern auch etwas mit den Personen
zu tun.
Wir haben es in Sachsen-Anhalt mit
der Situation tun,
dass bei dem Streit um die Torgauer
Urnen von Herrn
Fischer seitens des Zentralrates
verlangt wurde, dass
man bei der Beurteilung sehr wohl
auch berücksichtigen
müsse, dass die Menschen, die dort in
der Militärhaft der
SMAD umgekommen und möglicherweise
ermordet
worden seien, auch Kriegsverbrecher
gewesen seien.
Wenn eine solche Aussage getroffen
wird, dann fragt
der Vorsitzende des Verbandes der
Stalinistisch Verfolgten:
Für wen sprechen Sie gerade, Herr
Fischer? Für
den Zentralrat oder für das MfS? -
Das genau ist die Situation,
die dazu führt, dass es bei uns eben
so nicht
geht.
Eine zweite Geschichte - das haben
wir vorher so nicht
abgesehen -: Jetzt sagen Sie, Herr
Scharf, wir brauchten
die Regelüberprüfung für alle;
deswegen müssten wir
das Gesetz ändern. Wir brauchten sie
deswegen - das
war im Wesentlichen Ihre
Argumentation -, weil die Perspektive
der Opfer entscheidend sei.
Ja, aber die Opfer haben
unterschiedliche Perspektiven.
Für die einen ist es unabdingbar
notwendig, die anderen
sagen jedoch: Dann erfolgt definitiv
keine Mitarbeit. Warum
folgen Sie eigentlich der einen
Opferperspektive
und lassen die andere völlig außen
vor? - Das ist die
Frage, die wir stellen.
Wir haben gesagt: Das Gesetz ist von
uns so mit eingebracht
worden. Wir müssen es akzeptieren.
Ein Gesetz
hat nun einmal das Wesensmerkmal, das
alle damit leben
müssen, wenn es politisch auf den Weg
gebracht
worden ist. Jetzt wird dieses Gesetz
deswegen aufgemacht,
weil eine Opfergruppe mit der
Konsequenz nicht
leben kann. In diesem Kontext
thematisieren wir die
Sichtweisen der anderen Opfergruppen.
Wenn wir es für eine Opfergruppe
aufmachen, warum interessieren
uns eigentlich die Bedenken der
anderen
drei Opfergruppen nicht? - Das ist
die Frage, die wir stellen.
Darauf möchte ich eine Antwort haben.
Sie werden eines nicht hinbekommen:
Sie werden zum
einen nicht eine allumfassende
Stasi-Überprüfung, wie
sie die Verbände der Opfer des
Stalinismus und der stalinistisch
Verfolgten haben wollen, hinbekommen
und
zum anderen diese Überprüfung
ausschließen, wie sie
zumindest die Sinti und Roma für sich
ausschließen.
Das ist eine logische, keine
politisch wertende Operation.
Deswegen sind wir zu dem Ergebnis
gekommen:
Wir brauchen zwei Stiftungen dafür.
Nicht weil wir es von
vornherein für unmöglich erachtet
haben, sondern weil
wir inzwischen wissen, dass es
unmöglich ist. Das hat
uns dazu geführt. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Gallert. - Nun Herr
Scharf, bitte.
Herr Scharf (CDU):
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich möchte
nur noch auf wenige Überlegungen
eingehen, aber auch
einige aufgeworfene Fragen
beantworten.
Auch ich gehöre sehr stark zu den
Anhängern, die der
Auffassung sind: Es ist wert, dass
wir e i n e Stiftung
haben, weil uns die eine Stiftung
davor bewahrt, die
deutsche Geschichte auseinander zu
reißen. Das geht
nicht.
Es gibt einen einfachen praktischen
Gesichtspunkt. Wir
könnten den Roten Ochsen nicht sauber
zuordnen. Wir
würden einen sehr unerquicklichen
Streit unter uns darüber
führen, welche der beiden Stiftungen
der Rote
Ochse zugeordnet werden muss. Der
Streit an sich wäre
schon falsch, weil es zur Geschichte
gehört, dass der
Rote Ochse zu der einen und auch zu
der anderen Diktatur
gehört.
Damit, meine Damen und Herren, haben
wir uns auseinander
zu setzen. Die Geschichte ist leider
so - das
kennt jeder, der sich etwas mit der
Geschichte befasst -,
dass das Opfersein in der einen
Diktatur nicht automatisch
dazu führt, vor Versuchungen in der
anderen Diktatur
gefeit zu sein.
Es gibt Menschen - wir alle kennen
sie -, die in den NSLagern,
Gefängnissen und KZ gesessen haben,
die geschunden
und gefoltert wurden. Trotzdem haben
sie sich
hinterher in der DDR-Diktatur nicht
davor gescheut - ich
persönlich verstehe es nicht -,
selbst ähnliche Maßnahmen
für ihre politischen Gegner
anzuordnen.
Das ist nun einmal die Geschichte.
Deshalb muss man
die Geschichte aufarbeiten, meine
Damen und Herren.
Deshalb bin ich der Auffassung, dass
dazu auch die
Überprüfung gehört; denn es ist nicht
so, dass man,
wenn man in der einen Diktatur
gelitten hat, automatisch
ohne Fehl durch die andere Diktatur
gegangen ist. Das
muss man im Einzelnen überprüfen.
Ich habe mich in Vorbereitung der
heutigen Diskussion
etwa in politischen Biografien schlau
gemacht. Es gibt
zum Beispiel einen Herrn Helmut
Eschwege. Ich selbst
habe ihn nicht gekannt, weil ich
nicht Historiker bin. Er
war jüdischer Historiker und
Dokumentarist in Deutschland.
Er hat gelitten. Er war später
Mitarbeiter im MfS.
Das hat es gegeben.
Hierin steht, dass Eschwege zum
Beispiel zu denen gehörte,
die in den 80er-Jahren jahrelang zu
den wichtigsten
Informanten des MfS über den
langjährigen Vorstandsvorsitzenden
der Jüdischen Gemeinde Helmut
Aris - der eine oder andere wird sich
noch an ihn erinnern
- gehörte. Selbst den Aufruf der in
der Wende neu
gegründeten Sozialdemokratischen
Partei, die er damals
mit gegründet hat, hat Eschwege noch
dem MfS übergeben.
So ist nun einmal die Geschichte. Das
muss aufgearbeitet
werden.
Deshalb nützt es gar nichts, wenn wir
versuchen, zu separieren
und uns selektiv dem einen oder
anderen Teil
zu widmen. Ich habe die starke
Hoffnung, dass sich die
Gedenkstättenstiftung dieser Aufgabe
noch widmen
kann.
Ein anderer Gedanke. Ich habe vorhin
gesagt: Die Perspektive
der Opfer ist für uns entscheidend
und sehr
wichtig. Trotzdem sind wir im
Parlament gezwungen abzuwägen.
Nicht jede Opferperspektive ist
automatisch
die richtige. Der Abwägungsprozess
gehört dazu.
Ich will deutlich sagen: Wenn uns die
Opferverbände
angeschrieben haben, dann hat uns das
genötigt, noch
einmal intensiv darüber nachzudenken,
ob wir richtig
gehandelt haben. Es gibt keinen
Automatismus, meine
Damen und Herren.
Wir sind auch weiterhin der
Auffassung - auch wenn der
Verband der Sinti und Roma es anders
sieht -, dass
e i n e Gedenkstättenstiftung die
richtige Lösung ist.
Dieser Auffassung waren wir damals
übrigens auch
schon.
Ich habe damals den Leserbrief von
Herrn Steinhäuser
mit großer Aufmerksamkeit gelesen.
Ich weiß nicht, wie
Herr Steinhäuser heute zu seinem
Leserbrief steht. Ich
verstehe Herrn Steinhäuser so, dass
es ein Versuch von
ihm gewesen ist, die Stiftung zu
retten.
Auch ich selbst habe zig Gespräche
geführt. Ich war
doch nicht von Anfang an derjenige,
der gesagt hat: Wir
müssen sofort das Gesetz ändern. Nur
jetzt, nach einem
halben Jahr, bin ich der Auffassung:
Wenn es nicht anders
geht, müssen wir andere Schritte
einleiten.
Wir müssten Herrn Steinhäuser noch
einmal fragen, ob
er heute die Sache vielleicht auch
etwas differenzierter
sieht.
Meine Damen und Herren! Ich bin der
Auffassung, wir
sind jetzt tatsächlich dabei, einen
gangbaren Weg zu
gehen. Auch der Weg der FDP führt
nicht sicher zum
Ziel. Eine zweite Möglichkeit zum
Patzen haben wir
nicht. Jetzt müssen wir richtig
handeln. - Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU und bei der SPD)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Scharf. Herr
Scharf, möchten Sie eine
Frage von Herrn Gallert beantworten?
- Herr Gallert, bitte.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Herr Scharf, wenn Sie sagen, die
Perspektive der Opfer
ist wichtig, aber wir wägen ab, dann
ist es für uns schon
wichtig zu wissen, welche Perspektive
offensichtlich entscheidend
ist. Das ist an dieser Stelle schon
interessant.
Ich habe mich aber wegen einer
anderen Geschichte gemeldet.
Sie haben vorhin zwei Beispiele
angeführt, um
unsere grundsätzliche
Unzuverlässigkeit innerhalb des
demokratischen Spektrums anzuführen.
Darauf will ich
kurz eingehen.
Zum einen haben Sie zitiert, dass ein
stellvertretender
Vorsitzender der PDS, Herr Dehm, die
Enteignung der
Großkonzerne mit hineingebracht hat.
Ich sage Ihnen
gleich etwas dazu, Herr Scharf. Das
sagt nicht nur Herr
Dehm.
(Oh! bei der CDU)
- Ja. Das sagt nicht nur Herr Dehm. -
Der eine oder andere
Landtagsabgeordnete war vor Kurzem in
Halle bei
dem wohnungspolitischen Verbandstag.
Dort hat jemand
die Enteignung der Stromnetze
gefordert. Das war Ihr
Bauminister. Was ist er denn jetzt,
Herr Scharf? Demokratisch
unzuverlässig, oder wie?
(Unruhe)
Herr Scharf (CDU):
Ich kann Ihrem Geschichtsbild etwas
aufhelfen. Die gesamte
CDU Deutschlands hat das in ihrem
Ahlener Programm
gefordert.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Genau.
Herr Scharf (CDU):
Das ergibt doch keinen Automatismus,
meine Damen
und Herren.
Herr Gallert (DIE LINKE):
Aber bei Herrn Dehm schon.
Noch eines: Sie haben Herrn Remmers
bezüglich der
Beurteilung von Menschen, die im
repressiven Staatsapparat,
sprich auch der DDR, tätig waren,
zitiert. Sehen
Sie sich bitte einmal seine
Äußerungen und Ihren Änderungsantrag
aus dem Jahr 1995 zu einem Antrag der
SPD und der Grünen zur
Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure
an. Schauen Sie sich dazu bitte
einmal
die Beurteilung der Amtsrichter am
Volksgerichtshof
durch Herrn Remmers an. Wenn Sie
diese Messlatte an
Leute aus der DDR-Justiz anlegen
würden, dann hätten
wir möglicherweise eine völlig andere
Diskussion. - Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Scharf (CDU):
Herr Gallert, wenn ich mich richtig
erinnere, ist Herr
Remmers ein Mensch, der sehr
differenziert denkt und
der im Landtag normalerweise auch
sehr differenziert
geurteilt hat.
(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)
Jetzt komme ich wieder ein Stück weit
ins Spekulieren.
Ich habe die Rede damals nicht mehr
ganz genau in Erinnerung.
Aber wenn ich Ihren Gedanken einmal
weiterentwickeln
darf, dann bin ich mir ziemlich
sicher, dass
Herr Remmers niemals auf die Idee
gekommen wäre,
diese ehemaligen Richter für eine
eventuelle Stiftung zur
Aufarbeitung der NS-Diktatur
vorzuschlagen.
(Lebhafter Beifall bei der CDU -
Zustimmung von
Herrn Prof. Dr. Paqué, FDP)
Ich will noch eines sagen:
Selbstverständlich sind in den
anderen Parteien nicht alle
Parteimitglieder geeignet, in
einer solchen Stiftung zu arbeiten.
Ich kann mir auch
vorstellen, dass auch sehr viele
innerhalb der CDU nicht
geeignet wären, darin mitzuarbeiten.
Diese würden wir
aber wahrscheinlich auch nicht
vorschlagen.
Wir haben zu akzeptieren, dass es
sehr wichtig ist, akzeptable
Personen in die Stiftung zu
entsenden, damit
die Stiftung auch tatsächlich
arbeiten kann. Das ist unsere
Aufgabe.
(Beifall bei der CDU, bei der SPD und
bei der
FDP)
Es ist nicht unsere Aufgabe, uns mit
bestimmten Personalvorstellungen
in dieser Stiftung selbst zu
verwirklichen.
Dazu ist die Stiftung zu wichtig.
Darüber bitte ich
einmal nachzudenken.
(Beifall bei der CDU, bei der SPD und
bei der
FDP)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Vielen Dank, Herr Scharf. - Damit ist
die Aussprache
beendet.
Frau Gudrun Tiedge hat gebeten, nach
der Aussprache
Gelegenheit für eine persönliche
Bemerkung nach
§ 67 der Geschäftsordnung zu
bekommen. Dafür stehen
ihr drei Minuten zur Verfügung. Bitte
schön.
Frau Tiedge (DIE LINKE):
Herr Präsident, ich zitiere:
„In einem Fall wurde zwar eine
Verpflichtungserklärung
abgegeben, der Ausschuss ist jedoch
einhellig zu dem Ergebnis gekommen,
dass die
hieran anschließende 30 Jahre
zurückliegende
Tätigkeit nicht geeignet ist, die
durch § 46a des
Abgeordnetengesetzes des Landes
Sachsen-Anhalt
geschützten Rechtsgüter, also das
Ansehen
des Landtags und seiner Mitglieder,
zu verletzen.
Neben der mittlerweile vergangenen
Zeit liegt
dies zur Überzeugung des Ausschusses
an dem
nichtssagenden Gehalt der Berichte
und dem
damals jugendlichen Alter des
betroffenen Mitglieds
des Landtages.“
Dies war ein Zitat aus dem Bericht
des Sonderausschusses
vom 6. April 2005 zu meiner Person.
Aufgrund dessen könnte ich mich nun
hinstellen und sagen:
Was wollen Sie eigentlich? - Es war
doch alles
nicht so schlimm, im Prinzip
bedeutungs- und folgenlos.
Aber genau das habe ich weder in der
Vergangenheit
getan, noch werde ich es heute tun;
denn die IM-Tätigkeit
war der größte Fehler meines Lebens.
Niemand, der
wie ich so etwas getan hat, kann von
sich behaupten,
niemandem geschadet zu haben; denn
ein IM hatte keinen
Einfluss darauf, was mit seinen
Informationen geschah.
Aber diese meine Haltung kennen Sie
alle bereits
seit Jahren.
Nun wirft man mir meine
staatsanwaltschaftliche Tätigkeit
vor. Man zitiert ausgerechnet und
ausschließlich einen
Satz aus dem Fernsehbeitrag der
Sendung „Report
München“, von einem Sender, für den
der Kalte Krieg
noch nicht beendet ist.
(Oh! bei der CDU)
Ja, ich stehe zu diesem Satz, aber
ich stehe zu allen
Sätzen, die ich in diesem
einstündigen Interview gesagt
habe. Ich habe unter anderem erklärt,
dass die DDR
kein Unrechtsstaat war, aber Unrecht
geschehen ist.
Das größte Unrecht war das politische
Strafrecht. In keiner
Gesellschaft ist das politische
Strafrecht ein legitimes
Mittel, um den Willen nach
politischen und gesellschaftlichen
Veränderungen „wegzustrafen“. Dieses
Unrecht
lässt sich weder rückgängig noch
ungeschehen
machen.
Ja, ich war daran beteiligt. Aber im
Wissen um sämtliche
Verfahren, die ich in diesem Bereich
bearbeitet habe,
haben ein Überprüfungsausschuss und
das Justizministerium
entschieden, dass ich auch weiterhin
als Staatsanwältin
in der BRD tätig sein kann. Muss ich
nun ab
diesem Zeitpunkt nicht mehr bereuen,
dass ich Staatsanwältin
geworden bin?
Ein ehemaliger Fraktionskollege hat
mir folgendes Zitat
von Jurek Becker geschickt - ich
zitiere -:
„Es gibt nur eine Art, Vergangenheit
zu bewältigen:
sich ihrer aufrichtig zu erinnern.“
Meine Fraktionskolleginnen und
-kollegen und ich praktizieren
dies seit Jahren. Ich frage mich aber
schon: Warum
hauptsächlich nur wir?
(Oh! bei der CDU)
Bemerkenswert ist Ihre Selbstgefälligkeit,
mit der Sie
sich hinstellen, als hätten Sie mit
dem, was in der DDR
geschah, überhaupt nichts zu tun, als
hätten Sie keine
Verantwortung getragen.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun werde ich nicht mit gleichen Elle
zurückschlagen
und Einzelnen ihre Vergangenheit
vorwerfen. Das ist mir
persönlich einfach zuwider. Natürlich
ist es persönlich
einfacher, zu verdrängen und mit dem
Finger auf andere
zu zeigen und sich scheinbar von
jeglicher Verantwortung
frei zu machen. Menschlich ist es
vielleicht verständlich,
aber politisch ist es mehr als
fragwürdig und
für die Zukunft auch nicht
durchhaltbar.
Sie wollen eine ganze Gruppe von
Menschen, die zu ihrer
Verantwortung in der DDR stehen,
ausgrenzen und
pauschal abstrafen.
(Frau Feußner, CDU: Das stimmt gar
nicht! - Widerspruch
bei der CDU)
Wissen Sie was: Ich habe ein halbes
Jahr lang Sachen
über mich ergehen lassen, die weit
unter die Gürtellinie
gingen.
(Frau Feußner, CDU: Was trauen Sie
sich denn
hier?)
Ertragen Sie bitte wenigstens meine
persönliche Stellungnahme
in Ruhe.
(Beifall bei der LINKEN)
Blinder Hass, wie er mir teilweise
von den Vertretern der
Opferverbände für den Zeitraum nach
1945 entgegenschlug,
ist völlig ungeeignet, ein
aufrichtiges Erinnern zu
ermöglichen. Denn Hass polarisiert
und schafft neues
Unrecht.
Ich habe mich dafür entschieden,
einen anderen Weg zu
gehen. Ich erwarte nicht von Ihnen,
dass Sie das honorieren
bzw. akzeptieren - denn sonst würden
Sie mit Ihren
eigenen Argumenten nicht mehr zu
Rande kommen -; ich erwarte aber doch, dass Sie das respektieren.
Ich kann erwarten, dass man mir
meinen Weg des Umgangs
abnimmt, diesen nicht ständig infrage
stellt oder
sogar verfälscht.
Eines, Herr Scharf, lasse ich mir
nicht bieten: dass man
mich mit einem NS-Verbrecher auf eine
Stufe stellt.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Wissen um all das wurde ich von
Ihnen allen in den
Stiftungsrat gewählt. Ich werde bei
dem Gesetzesvorhaben
nicht verlieren. Aber verlieren wird
die Demokratie
und die Rechtsstaatlichkeit in diesem
Land und die
Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers.
(Frau Feußner, CDU: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)
Das haben allein Sie, die Befürworter,
zu verantworten.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:
Meine Damen und Herren, Sie haben
sicherlich Verständnis
dafür, dass ich in Bezug auf die
Redezeit recht
großzügig verfahren bin.
Es ist beantragt worden, diesen
Gesetzentwurf in den
Innenausschuss zu überweisen. Darüber
stimmen wir
jetzt ab. Wer stimmt zu? - Die
Antragsteller und die FDP.
Wer stimmt dagegen? - DIE LINKE
stimmt dagegen.
Dann ist die Überweisung mehrheitlich
beschlossen worden
und der
Tagesordnungspunkt 16 ist beendet.