Auszug aus dem Plenarprotokoll 5/30 16.11.2007 Landtag von Sachsen-Anhalt Fünfte Wahlperiode

 

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Meine Damen und Herren! Es wäre wünschenswert,

dass Sie Platz nehmen, damit wir beginnen können. Die

einen oder anderen werden diese Debatte sicherlich mit

Interesse verfolgen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gedenkstättenstiftungsgesetzes

des Landes Sachsen-Anhalt

Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der SPD

- Drs. 5/945 neu

Ich bitte zunächst Herrn Scharf darum, als Einbringer

das Wort zu ergreifen. Bitte schön.

Herr Scharf (CDU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Landtagsbeschluss zum Gesetz über die Errichtung

der Stiftung Gedenkstätten im Land Sachsen-Anhalt

vom 22. März 2006 ist nach meiner Auffassung in

einzelnen Passagen weder gut gelungen, noch befriedigt

das erzielte Ergebnis.

Seit dem Inkrafttreten des Gedenkstättenstiftungsgesetzes

ist die Kritik, insbesondere an der unterschiedlichen

Behandlung der Mitglieder im Stiftungsrat nach § 7

Abs. 2 des Gedenkstättenstiftungsgesetzes und der Mitglieder

des Beirates, nicht verstummt. Während für die

Stiftungsbeiräte nach § 11 Abs. 6 Voraussetzung für eine

Mitgliedschaft die Zustimmung zur Überprüfung auf

der Grundlage des Gesetzes über die Unterlagen des

Staatssicherheitsdienstes ist, fehlt eine entsprechende

Regelung für die Mitglieder des Stiftungsrates. Zwingende

sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung sind

hingegen nicht gegeben.

Die darüber öffentlich geführte Diskussion, die zum Teil

auch bundesweit stattgefunden hat, verstellt derzeit aber

den Blick auf das Wesentliche. Mit diesem Gesetz hat

die CDU-FDP-Koalition am Ende der vergangenen Wahlperiode

einen Schlusspunkt unter eine jahrlang geführte

Diskussion gesetzt. Nicht zuletzt die auch von der PDSFraktion

maßgeblich mitgeführten Diskussionen über die

Nutzung und Weiterverwendung der Gedenkstätte Lichtenburg

haben dazu geführt, dass sich Sachsen-Anhalt

nach den Ländern Brandenburg, Sachsen, Thüringen,

Bayern und Niedersachsen zur Errichtung einer öffentlich-

rechtlichen Stiftung entschlossen hat, um zum Gedenken

an die NS-Opfer fünf Gedenkstätten und drei

Gedenkstätten für die Opfer aus den Zeiten der sowjetischen

Besatzung und der SED-Diktatur in die Trägerschaft

einer Stiftung zu übertragen. Die Begründung zu

dem damaligen Gesetz führt für diesen Schritt Folgendes

an - ich zitiere -:

„Die öffentlich-rechtliche Stiftung ‚Sachsen-Anhaltische

Gedenkstätten’ soll die gesamte Erinnerungs-,

Bildungs- und Forschungsarbeit der Gedenkstätten verantworten, die zahlreichen Kontakte

zu den Opfern und ihren Organisationen

pflegen und nicht zuletzt die historischen Orte der

Menschenrechtsverletzungen betreiben und erhalten.“

Weiter heißt es: Jedes Opfer politischer Gewaltherrschaft

hat in der Gedenkstättenarbeit den gleichen Stellenwert

zu besitzen.

Meine Damen und Herren! Hieraus wird deutlich, dass

die Opferperspektive maßgeblicher Blickwinkel des Gesetzes

sein soll. Daher, meine Damen und Herren, ist

der Zweck der Stiftung wieder stärker in den Blick zu

nehmen. Der Zweck der Stiftung definiert sich über die

Opfer der Nazi- und der SED-Diktatur. Die Perspektive

der Opfer ist der maßgebliche Maßstab zur Beantwortung

der Frage, ob die Stiftung ihren Stiftungszweck erfüllt

oder erfüllen kann.

Es geht nicht darum, meine Damen und Herren, ob wir

selber als Mitglieder des Landtages unsere Ziele und

Perspektiven in der Arbeit der Stiftung richtig verwirklicht

sehen. Nein, wir, meine Damen und Herren, müssen

versuchen, uns in die Sicht der Opfer der Diktaturen hineinzuversetzen,

wenn wir überlegen, wie und mit welchen

Personen die Stiftung arbeiten soll.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die CDU-Fraktion stellt sich

ihrer Verantwortung für die Zusammensetzung des Stiftungsrates

und die Wahl von Mitgliedern dieses Gremiums.

Als Vorsitzender der CDU-Faktion und ganz persönlich

stelle ich hier erneut fest, dass dieses Haus bei

der Wahl von Landtagsmitgliedern in den Stiftungsrat am

19. Oktober 2006 die allein zählende Perspektive der

Opfer nicht genügend gewürdigt hat.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Viele Zuschriften, Anrufe und persönliche Gespräche bestätigen

diese Erkenntnis. Die Achtung und der Respekt

gegenüber den Opfern des DDR-Regimes, die sich

durch die Wahlentscheidung des Landtages verletzt fühlen,

gebieten es, dieses zu korrigieren.

Meine Damen und Herren! Mir persönlich war es ein

wichtiges Anliegen, Schaden vom Stiftungsrat abzuwenden.

Daher habe ich im Sommer und im Herbst Gespräche

mit dem Ziel geführt, dass die Fraktion DIE LINKE

einen unbelasteten Umgang mit der Stiftung und dem

Stiftungsrat ermöglicht. Die nunmehr wegen der beharrlichen

Verweigerung eingetretene wechselseitige

Blockade gefährdet die Gedenkstättenstiftung in ihrem

Bestand, so befürchte ich. Wir nehmen zur Kenntnis,

dass die Fraktion DIE LINKE bereit ist, die früher selbst

von ihr gewollte Errichtung einer landesweiten Gedenkstättenstiftung

zu gefährden. Dieses, meine Damen und

Herren, kann die CDU-Fraktion nicht zulassen.

Meine Damen und Herren! Die intern und öffentlich geführten

Diskussionen der letzten Monate haben gezeigt,

dass die handwerklichen Fehler im Gesetz durch eine

Gesetzesänderung beseitigt werden müssen. Dies geschieht,

wie es bei einem Gesetz notwendig ist, in öffentlicher

Sitzung in zwei Lesungen des Landtages von

Sachsen-Anhalt. Es ist somit ein demokratisch legitimierter

Vorgang in unserer repräsentativen Demokratie.

Meine Damen und Herren! Wer meint, dass wir einen juristischen

Fehler begehen, kann auch dieses wiederum

juristisch überprüfen lassen. Das, meine Damen und

Herren, unterscheidet uns grundsätzlich von den Diktaturen,

deren geschichtliche Aufarbeitung unter anderem

die Aufgabe dieser Stiftung ist.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Sofern öffentlich geäußert

wurde, dass wir mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf

eine Bananenrepublik wären, so muss dem entschieden

widersprochen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf

ist kein Einzellfallgesetz und unterliegt damit

nicht dem Verbot nach Artikel 20 Abs. 1 der Landesverfassung.

Um ein Einzelfallgesetz handelt es sich, wenn eine

Rechtsfolge an einen konkret bezeichneten Tatbestand

geknüpft ist und sich das Gesetz in dem einmaligen Eintritt

der Rechtsfolge erschöpft. Unzulässig sind Einzelfallgesetze

jedoch nur dann, wenn damit Grundrechte

eingeschränkt werden. Die gesetzliche Regelung eines

Einzelfalls ist nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt

so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art

gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhaltes

von sachlichen Gründen getragen wird - so die Kommentierung

zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Bei genauerer Betrachtung ist dem allgemein-abstraktgenerellen

Gesetz das Einzelpersonengesetz und das

Einzelfallgesetz gegenüberzustellen. Ausweislich der

Kommentierung zu Artikel 19 des Grundgesetzes ist in

der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

bislang kein Verstoß eines Gesetzes gegen Artikel 19

des Grundgesetzes festgestellt worden.

Das Bundesverfassungsgericht ist vielmehr der Auffassung,

dass durch abstrakt-generelle Regelungen auch

dann, wenn sie zur Lösung bestimmter historischer Problemlagen

ergehen oder sogar aus Anlass konkreter

Einzelfälle erlassen werden, eine Verfassungswidrigkeit

nicht gegeben ist.

Schon die abstrakt-generelle Formulierung des Gesetzes

stellt auch in solchen Fällen regelmäßig sicher, dass

das Gesetz nicht nur für einen abschließend bestimmten

Kreis von Adressaten gilt, sondern auf unbestimmt viele

weitere Fälle anwendbar ist, auch wenn diese erst für

die Zukunft zu erwarten sind oder sich nur einer der

möglichen Anwendungsfälle realisiert hat.

Es bleibt daher, meine Damen und Herren, festzustellen,

dass das Einzelfallgesetzverbot bislang keine praktische

Bedeutung erlangt hat. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf

ist eine generelle Regelung getroffen worden,

sodass ein Verstoß nicht anzunehmen ist.

Aber, meine Damen und Herren, ich will auf einen weiteren

Aspekt hinweisen, der unsere jetzige Diskussion in

einem größeren Zusammenhang zeigt. Mitte Juni 2001

hat der stellvertretende Parteivorsitzende Porsch erklärt,

dass sich die PDS für den Mauerbau nicht entschuldigen

müsse. Der stellvertretende Parteivorsitzende Dehm

äußerte sich zur künftigen Enteignung von Großkonzernen.

Unmittelbar im Nachgang gab die seinerzeitige PDSChefin

Frau Hein der Zeitung „Die Welt“ am 22. Juni

2001 ein Interview, in dem sie ausführte, dass der

Begriff „Unrechtsstaat der DDR“ völlig falsch und fehl am

Platze sei. Ministerpräsident a. D. Höppner attestierte

der PDS, dass sie dringend eine ideologische Entrümpelung

brauche. Mit einem Gastbeitrag replizierte der damalige rechtspolitische

Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Walter

Remmers in der „Mitteldeutschen Zeitung“ am 5. Juli

2001: Mit der heute ausgetragenen Diskussion müssen

wir uns erneut Fragen stellen über Möglichkeit und

Grenzen der Aufarbeitung zwischen Opfern und Personen,

die in einen Unrechtsstaat, zum Beispiel im Justizbereich,

eingebunden gewesen sind.

Meine Damen und Herren! Anstatt der Gedenkstättenstiftung

die Möglichkeit zu geben, inhaltliche Fragen zu

bearbeiten, die Geschichte aufzuarbeiten und für eine

stärkere Verankerung des Demokratieverständnisses in

der Gesellschaft zu arbeiten, strengt DIE LINKE eine

abseitige Debatte an.

Demgegenüber sollte von uns angeknüpft werden an die

Arbeit des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung

an der Technischen Universität in Dresden, das

sich mit theoretischen und konzeptionellen Grundlagen

der Diktatur- und Freiheitsforschung befasst. Ebenso arbeitet

das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt als Scharnierstelle

zwischen wissenschaftlicher Theoriebildung und

gegenwartsbezogener kultureller Praxis.

Aber auch in unserem Land gibt es Vorarbeiten, an die

angeknüpft werden sollte. Erinnert sei an die inzwischen

leider vergriffenen Arbeiten über die JVA Roter Ochse in

der Zeit zwischen 1933 und 1945 und an die Arbeit über

die MfS-Untersuchungsanstalt „Roter Ochse“ in der Zeit

von 1950 bis 1989, die vom damaligen Innenministerium

unter der Leitung von Manfred Püchel herausgegeben

wurden.

Meine Damen und Herren! Es gibt möglicherweise noch

einen anderen Einwand, der im Laufe der Debatte von

der Fraktion DIE LINKE vorgetragen werden wird. Es ist

der Vorwurf, dass wir mit einer erzwungenen Änderung

der Zusammensetzung des Stiftungsrates Hunderttausende

von DDR-Biographien diskriminieren und entwerten

würden. Das ist natürlich nicht der Fall. Eine ungerechtfertigte

Solidarisierung von Opfern und Tätern wird

es nicht geben. Wir werden es auch nicht zulassen, dass

sich ehemalige Täter heute als neue Opfer stilisieren.

(Beifall bei der CDU)

Jeder, meine Damen und Herren, der in der ehemaligen

DDR gelebt und in Beruf, Familie und öffentlichem Engagement

Verantwortung getragen hat, muss sich seiner

eigenen Verantwortung bewusst sein. Ein verklärter

Blick zurück hilft wirklich nicht.

Meine Damen und Herren! Maßgeblich ist die Perspektive

der Opfer der Gewaltherrschaft, gegebenenfalls auch

als Korrektiv eigener Erinnerung oder des eigenen Wegsehens.

Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion sollte sich

einmal fragen, ob für sie ein Repräsentant des NS-Regimes,

auch wenn dieser mit seiner Vergangenheit gebrochen

zu haben glaubt, als Repräsentant einer Stiftung

zur Aufarbeitung der NS-Diktatur geeignet wäre. Insbesondere

für den Justizbereich, meine Damen und Herren,

kann ich mir eine entsprechende Akzeptanz wirklich

nur schwer vorstellen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Ich will es deutlich sagen: Auch wenn die betreffende

Person einsieht, dass sie damals Unrecht begangen hat,

wäre für die Akzeptanz die Perspektive der Opfer und

nicht die Selbsteinschätzung der betreffenden Person

entscheidend, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen

der FDP-Fraktion waren eingeladen, den geänderten

Gesetzentwurf mit einzubringen. Sie müssen heute erklären,

warum sie nicht bereit sind, den von uns vorgeschlagenen

Weg mitzugehen. Juristische Bedenken

lassen sich, soweit ich sie bisher erkennen kann, nach

meiner Auffassung ausräumen. Ich möchte daran erinnern,

dass der Landtag nicht wie im letzten halben

Jahr nur zur verbalen Auseinandersetzung aufgerufen

ist, sondern er ist auch zum Handeln aufgerufen. - Vielen

Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank für die Einbringung des Gesetzentwurfs,

Herr Scharf. - Wir beginnen gleich mit der Debatte. Zunächst

haben wir die Freude, Seniorinnen und Senioren

sowie Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Schmölau-

Holzhausen begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der FDP-Fraktion.

Ich erteile Herrn Professor Paqué das Wort.

Herr Prof. Dr. Paqué (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der vorliegende Gesetzentwurf ist der Versuch, eine

Reihe von politischen Fehlern zu korrigieren, die wir alle

in diesem Hohen Hause begangen haben. „Wir alle“

heißt: die Koalitionsfraktionen CDU und SPD genauso

wie die Oppositionsfraktionen DIE LINKE und FDP. Wir

müssen diese Fehler korrigieren. Aber wir sollten die

Fehler durch politische Entscheidungen korrigieren und

nicht durch ein neues Gesetz. - Das ist die Position der

FDP-Fraktion in dieser Sache.

Ich werde diese Position im Folgenden begründen. Ich

werde dabei auch begründen, warum wir Liberale im Unterschied

zur Fraktion DIE LINKE die Gedenkstättenstiftung

weiterhin für einen unverzichtbaren Rahmen halten,

um das Gedenken der Opfer zweier deutscher Diktaturen

des 20. Jahrhunderts zu sichern und zu gestalten.

Zunächst zum Ablauf der Ereignisse. Der Landtag hat

am 22. März 2006 das Gedenkstättenstiftungsgesetz beschlossen.

Am 12. Oktober 2006 folgte die Wahl der Mitglieder

des Stiftungsrates.

In der Folge, vor allem nach der Konstituierung des Stiftungsrates

am 12. April 2007, erklärte der Verband der

Opfer des Stalinismus, dass er wegen der Mitgliedschaft

von Frau Gudrun Tiedge seine Mitarbeit im Stiftungsrat

aussetzen werde. Die Begründung dafür lautete, es sei

für die Opfer unzumutbar, über ihre Verbandsvertreter

mit einer ehemaligen Mitarbeiterin der Staatssicherheit

und Jugendstaatsanwältin der DDR an einem Tisch vertrauensvoll

zusammenzuarbeiten.

Wenige Monate später, am 3. Oktober 2007, äußerte

sich Frau Tiedge in einem deutschlandweit ausgestrahlten

Interview von „Report München“. Befragt nach ihrer

früheren Tätigkeit als Staatsanwältin in der DDR stellte

sie fest, dass sie nichts bereue und ein Staatsanwalt in

der DDR zum größten Teil die gleichen Arbeiten gemacht

habe wie ein Staatsanwalt in der alten Bundesrepublik.

- So weit, meine Damen und Herren, in groben

Zügen der Ablauf der Ereignisse.

Daran ist aus meiner Sicht klar geworden, dass bei der

seinerzeitigen Personalentscheidung des Landtages drei

Dinge falsch eingeschätzt wurden:

zum Ersten das hohe Maß an Sensibilität und Verletzlichkeit,

das auch 17 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung

die Opfer im Umgang mit den DDR-Verantwortlichen

kennzeichnet,

zum Zweiten das hohe Maß an Besorgnis und Empörung,

das in der Öffentlichkeit über die Ratsbesetzung

herrscht und in Briefen, Anrufen und E-Mails aus ganz

Deutschland zum Ausdruck kam,

und zum Dritten das noch immer geringe Maß an Einsicht

und Bedauern, das vielen damals Verantwortlichen

zu eigen ist und das sich leider auch bei Frau Tiedge in

der Gleichsetzung der Tätigkeit des Staatsanwalts im

Rechtsstaat und im Unrechtsstaat gezeigt hat.

Diese Erkenntnisse verlangen eine Neueinschätzung der

Lage und diese heißt: Eine fruchtbringende Zusammenarbeit

im Stiftungsrat ist nur möglich, wenn Frau Tiedge

auf ihre Mitgliedschaft verzichtet und DIE LINKE einen

anderen, allgemein akzeptablen Personalvorschlag für

den Stiftungsrat macht. Nur so können wir vernünftig

weiterarbeiten - im Interesse aller Opfer der beiden deutschen

Diktaturen.

Sehr geehrter Herr Gallert, ich möchte Sie und Ihre

Fraktion und vor allem auch Frau Kollegin Tiedge selbst

an dieser Stelle nochmals eindringlich bitten, den Weg

für eine solche Lösung freizumachen. Noch immer ist

Zeit für eine noble Geste, die deutlich macht, wie ernst

es auch Ihnen ist, sich um alle Opfer von Diktaturen auf

deutschem Boden mit ihren Sorgen und Nöten zu kümmern,

und nicht nur um die Opfer der Nationalsozialismus.

Dabei ist mir völlig klar, dass die Opfer und ihre Verbände

sich nicht immer nüchtern, vernünftig und abgewogen

verhalten, auch der Verband der Opfer des Stalinismus

nicht, der sich in den letzten Monaten bei seiner Kritik

des Öfteren im Ton vergriffen hat.

Aber ist das nicht das gute Recht von Opfern? Sind wir

als Politiker nicht dazu verpflichtet, für die Verletzlichkeit

der Opfer Verständnis aufzubringen? Sind wir als Politiker

nicht auch dazu verpflichtet, mit kühlem Kopf nach

Lösungen zu suchen, die auf Dauer eine vernünftige

Stiftungsarbeit im Interesse aller Opfer und der Gesellschaft

gewährleisten?

Deshalb nochmals meine herzliche Bitte an die Fraktion

DIE LINKE: Werden Sie bitte Ihrer Gesamtverantwortung

als Landespolitiker gerecht und machen Sie den

Weg frei für eine vernünftige Lösung mit unbelasteten

Mitgliedern des Stiftungsrates.

Meine Damen und Herren! Um ein Signal auf diesem

Weg zu setzen, haben wir als FDP-Fraktion am vergangenen

Dienstag beschlossen, unsere Mitarbeit im Stiftungsrat

auszusetzen. Wir haben auch die Fraktionen

der CDU und der SPD sowie die Landesregierung aufgefordert,

genauso zu verfahren und damit politisch

deutlich zu machen, dass der Stiftungsrat in seiner derzeitigen

personellen Zusammensetzung außerstande ist,

die anliegenden Aufgaben zu bewältigen.

Nur der gemeinsame Rückzug aus dem Rat würde deutlich

machen, dass an einer Neuwahl kein vernünftiger

Weg vorbeiführt. Wir sind, was die Handlungsfähigkeit

des Stiftungsrates betrifft, in gewissem Sinne in einem

politischen Notstand, und dieser Notstand muss auch

politisch behoben werden.

Meine Damen und Herren! Ein Gesetz braucht es dazu

nicht. Im Gegenteil: Ein Gesetz wie das jetzt vorgelegte

trägt unweigerlich den schlechten Geschmack eines

Einzelfallgesetzes, das allein deshalb verabschiedet

werden soll, um im Nachhinein ein einzelnes politisches

Problem zu lösen, das mit einem einzelnen Stiftungsratsmitglied

zusammenhängt. Ob dies noch rechtlich zulässig

ist, sei dahingestellt. Wir können das zu diesem

Zeitpunkt auch nicht beurteilen. Moralisch ist es sicherlich

nicht der richtige Weg, den die CDU- und die SPDFraktion

wählen wollen.

Ich kann deshalb an dieser Stelle nur nochmals eindringlich

an die Fraktionen der CDU und der SPD und an die

Landesregierung appellieren, zusammen mit der FDPFraktion

über das Aussetzen der Arbeit im Stiftungsrat

eine Neubesetzung zu erzwingen. Nicht der Gesetzgeber,

wohl aber die Politik ist gefordert.

Eines muss allerdings an dieser Stelle nochmals klar

ausgesprochen werden: Wir verdanken die missliche Situation

der bisherigen Härte, um nicht zu sagen Sturheit

der Fraktion DIE LINKE. Bisher hat DIE LINKE wenig Interesse

daran gezeigt, einen Beitrag zur Lösung des

Problems zu liefern, obwohl Gespräche - auch meinerseits

- dazu geführt worden sind. Es macht bisher fast

ein wenig den Eindruck, als lasse es DIE LINKE gezielt

darauf ankommen, per Gesetz über die Ziellinie geschoben

zu werden, um anschließend genug Munition zu haben,

publikumswirksam über eine erpresserische Gesetzgebung

zu klagen.

Sehr geehrter Herr Kollege Gallert, sollte dies ein Hintergedanke

sein, dann wäre dies eine Verfahrensweise,

die Ihrem eigenen Anspruch als demokratische Partei

und Fraktion nicht gerecht wird. Denn Demokratie ist

nicht nur eine Ansammlung von Verfahrensregeln mit

Mehrheitsentscheidungen. Demokratie ist auch und gerade

eine geistige Haltung, die auch in schwieriger Lage

konstruktive Lösungen im Konsens möglich macht, wenn

sie im allgemeinen Interesse liegen. Dies ist hier klar der

Fall, da es um die Zukunft der Gedenkstättenstiftung

geht.

Allerdings haben Ihre jüngsten Forderungen, Herr Gallert,

nach einer Auflösung der Gedenkstättenstiftung

Zweifel aufkommen lassen, ob DIE LINKE an dieser Zukunft

überhaupt interessiert ist. Anscheinend will DIE

LINKE die Gelegenheit nutzen, die Stiftung selbst zu

zerschlagen, um organisatorisch jene größtmögliche

Distanz zwischen den beiden Diktaturen auf deutschem

Boden herzustellen, die ihr ideologisch zusagt: auf der

einen Seite Faschismus und Nationalsozialismus, auf

der anderen Seite Kommunismus und DDR-Sozialismus.

Meine Damen und Herren! Eine solche Trennung wäre

fatal für die Kultur des Gedenkens an die Opfer der Diktaturen

auf deutschem Boden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustimmung

von Herrn Bischoff, SPD, und von Herrn

Felke, SPD)

Sie würde unser Land spalten, und zwar sowohl in der

mahnenden Erinnerung als auch in der historischen Interpretation der Ereignisse. Gerade das wollen wir Liberale

nicht. Ich hoffe, dass alle in diesem Hohen Hause

diese Spaltung nicht wollen. Wir wollen doch in Deutschland

zusammenwachsen und uns gemeinsam um unsere

gemeinsame Geschichte kümmern, einschließlich ihrer

dunklen Kapitel.

Deshalb muss die Gedenkstättenstiftung in diesem Land

eine Zukunft haben, trotz der Schwierigkeiten, mit denen

sie derzeit zu kämpfen hat. Lassen Sie uns diese

Schwierigkeiten gemeinsam lösen, und zwar ohne Gesetzesänderung.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als FDPFraktion

werden für eine Überweisung des Gesetzentwurfs

an den Innenausschuss zur näheren Prüfung

stimmen. Wir werden aber weiterhin für eine politische

Lösung des Notstands der Gedenkstättenstiftung arbeiten,

also für eine Lösung, die ohne eine Gesetzesänderung

auskommt. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung von Herrn Zimmer,

CDU)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Professor Paqué. - Für die SPD-Fraktion

spricht nun Herr Bischoff.

Herr Bischoff (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu

meinem Redebeitrag komme, will ich zumindest ganz

kurz auf Sie, Herr Professor Paqué, eingehen, weil ich

nachher einfach ungestört weitermachen will.

Nachdem wir den Gesetzentwurf vor wenigen Tagen

eingebracht hatten, haben Sie zwei Tage später so reagiert.

Ich finde das ein bisschen billig. Denn das, was Sie

jetzt vorschlagen, jemanden zurückzuziehen, hätten wir

vor einem halben Jahr auch machen können. Wir haben

darüber längst hin und her überlegt.

Wir sind allerdings zu der Frage gelangt: Was haben wir

davon? Welche Lösung haben wir erreicht, wenn alle

drei Vertreter zurücktreten und eine Person bleibt? - Sie

haben jetzt keine Lösung vorgeschlagen, sondern haben

an alle appelliert, dass es politisch-moralisch eine Lösung

geben müsse. Darüber würden wir uns auch freuen,

aber wenn diese nicht möglich ist, muss es eine andere

Lösung geben. Und an dieser Lösung haben Sie

bis jetzt nicht mitgewirkt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zustimmung

von der Regierungsbank)

Deshalb finde ich es etwas unredlich, wenn Sie den Anschein

erwecken, Sie würden eine Lösung parat haben

oder mit Ihrem Schritt eine Lösung präferieren. Darüber,

ob man diesen Weg gehen kann, haben wir längst

nachgedacht. Das wissen Sie auch. Es ist kein gangbarer

Weg.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Warum nicht?)

- Wenn eine Person sagt, dass sie es nicht tun will,

kommen wir keinen Schritt weiter. Sie haben das noch

nicht gesagt, ich komme nachher noch dazu. Wir sind

mittlerweile aufgefordert worden, auch von den Opferverbänden,

eine gesetzliche Regelung zu schaffen,

wenn es nicht anders geht. Darauf haben Sie noch keine

Antwort gegeben. Ich versuche es nachher und stehe

Ihnen, wenn Sie eine Frage stellen wollen, am Ende

meiner Rede gern zur Verfügung.

Mit dieser Gesetzesänderung wollen wir den Weg frei

machen, der Gedenkstättenstiftung eine vernünftige

Weiterarbeit zu ermöglichen. Das ist der einzige Grund,

warum wir gemeinsam mit dem Koalitionspartner mit

dieser Gesetzesänderung die Mitglieder des Stiftungsrates

abberufen wollen.

Ich glaube, es ist müßig zu beklagen - jedenfalls sehe

ich das so -, dass der Landtag, also alle Abgeordneten,

die Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen in den

Stiftungsrat gewählt hat und nun wieder zurückzieht. Auf

jeden Fall war uns damals nicht klar - das ist sicherlich

ein Mangel -, dass unsere Entscheidung dazu führen

würde, dass die Arbeit des Stiftungsrates blockiert und

behindert würde.

Auch die Frage, ob einem Mitglied des Beirates, also

dem Opferverband, ein Vetorecht eingeräumt wird - das

mag juristisch interessant sein -, steht für uns nicht im

Vordergrund. Derjenige, der in diesem Land unmenschliches

Leid erfahren hat und für den es eine unüberwindliche

Hürde ist, mit jemandem an einem Tisch zu sitzen,

weil er in diesem einen Vertreter oder eine Vertreterin

seiner einstigen Peiniger sieht, der darf eine solche Haltung

haben. Wir sollten und dürfen uns nicht anmaßen,

über dessen Gründe zu urteilen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der

Regierungsbank)

Allein den Umstand, dass die Opfer eine Grenze setzen,

müssen wir respektieren.

Wir haben die E-Mails bekommen. Aus diesen Mails

spricht nicht nur Verletzung, sondern manchmal auch

Hass. Aus ihnen spricht auch, dass einige tatsächlich so

gelitten haben, dass sie davon krank geworden sind.

Trotzdem geht es uns um die Perspektive der Opfer.

Es geht nicht darum, wie wir oder wie ich Frau Tiedge

heute beurteilen, sondern es geht um die Opfer. Es geht

nicht darum, ob sie ein Recht haben, ob sie Einspruchsrechte

haben oder ob nur sie die Geschichte richtig beurteilen

können. Für uns hat einfach ihre Perspektive

den Vorrang.

Hätten wir das vor einem Jahr voraussehen können oder

müssen? Für unsere Fraktion kann ich sagen, dass wir

das damals vielleicht nicht genügend thematisiert haben.

Wir haben uns vielmehr damit auseinander gesetzt, wie

das möglich ist - wer in den Protokollen nachgelesen

hat, wird das wissen - und ob das zusammengehen

kann, sozusagen beide Diktaturen unter einem Dach zusammenzuführen

und zu schauen, wie das die Verbände

sehen. Dazu gab es damals schon unterschiedliche

Sichtweisen.

Wir haben die Personalien nicht thematisiert. Und wir

werden auch heute in der Fraktion zur Person von Frau

Tiedge sicherlich unterschiedliche Sichtweisen haben.

Das wird sich auch in der Abstimmung widerspiegeln.

Unbestritten ist, dass es keine grundsätzlichen Bedenken

in Bezug auf die Arbeit von Frau Tiedge im Parlament

gibt. Ich habe jedenfalls, solange ich im Parlament

bin, noch keine gehört. Das betrifft auch die Einschätzung

des Ausschusses zur Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit,

der nicht die Empfehlung abgegeben hat, dass

sie ihr Mandat aufgeben müsste.

Aber, sehr geehrte Frau Tiedge, Sie hätten uns diese

Prozedur heute ersparen sollen bzw. müssen. In einem

so sensiblen Bereich wie der Aufarbeitung unserer

jüngsten Vergangenheit wäre es meines Erachtens der

richtige Schritt gewesen, die Stelle für eine Neubesetzung

freizumachen.

(Zustimmung bei der SPD)

Es geht nicht darum, Ihre persönliche Entwicklung

- schon gar nicht nach der Wende - oder Ihre Seriosität

in Zweifel zu ziehen. Es geht auch nicht darum, der

LINKEN - zumindest nicht in diesem Land - zu unterstellen,

sie würde sich nicht mit ihrer Vergangenheit auseinander

setzen. Ob dies ausreichend ist oder von allen so

vertreten wird, wird sicherlich unterschiedlich beurteilt.

Es bleibt übrigens eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft,

sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander

zu setzen und alles zu tun, damit solche undemokratischen

und diktatorischen Systeme keine Chance mehr

haben. Dazu gehören sicherlich die Vermittlung von

Wissen um die DDR, ihre Strukturen und Machtinstrumente,

ihre totalitären Handlungsweisen und ihre menschenfeindlichen

Entscheidungen, aber auch die Vermittlung

von Wissen um Opposition, um Zivilcourage,

um die Opfer, aber auch um Anpassung und Nischenflucht

sowie um das ehrliche Bemühen, innerhalb eines

undemokratischen Systems Menschlichkeit und soziales

Verhalten zu leben und zu vermitteln.

Welche Motive und welche Einstellungen jeden Einzelnen

bewogen haben, sich so oder so zu verhalten, sich

mehr oder weniger in das System einzubinden, bewusst

oder aus Opportunität innerhalb der Partei und damit innerhalb

der Blockparteien, der Nationalen Front und der

Organisationen mitzumachen, das entzieht sich meines

Erachtens einer objektiven Betrachtung. Das muss jeder

Einzelne ein Stück weit mit sich selbst ausmachen.

Aber jeder Einzelne - damit meine ich auch Frau Tiedge

- hat dafür zu sorgen, ein Klima zu schaffen, das eine

Aufarbeitung ermöglicht, das ein Schuldeingeständnis

und einen Neuanfang ermöglicht, das Biografien nicht

entwertet bzw. abwertet und das ein differenziertes Miteinander-

Umgehen ermöglicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Wende im Jahr 1989 war eine friedliche Revolution.

Das ist das Markenzeichen dieses Wandels und der

Wiedervereinigung. Darauf hat damals auch Professor

Dr. Böhmer hingewiesen, als es damals noch um den

Ausschuss für Recht und Verfassung ging. Es geht auch

um den friedlichen Umgang untereinander - das möchte

ich betonen -, auch zwischen den ehemals Verantwortlichen

und den Opfern. Das war das Markenzeichen dieser

Revolution.

Dass ein solcher Prozess, friedlich miteinander umzugehen,

von vielen menschliche, ja übermenschliche Größe

verlangt, ist unbestritten. Dazu gehören sicherlich die

Bereitschaft zur Versöhnung sowie das Eingeständnis

von Schuld und Versagen und von mangelnder Zivilcourage.

Dafür eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen,

die eine solche Bereitschaft fördert, ist die Aufgabe

eines jeden Einzelnen.

Gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten

wissen um diesen schmerzlichen Prozess. Unter uns

gibt es Menschen, die unter beiden Systemen gelitten

haben, die verfolgt und ausgewiesen wurden. Es gibt

aber auch Menschen, die umgebracht worden sind. Wir

haben es uns nach der Wende auch nicht einfach gemacht

mit der Frage, wie wir mit ehemaligen Funktionsträgern

und SED-Mitgliedern umgehen.

Deshalb möchte ich noch einmal unsere Einstellung dazu

deutlich machen: Wir unterbreiten das Angebot, weiter

daran zu arbeiten, miteinander Dinge aufzuarbeiten

und eine Atmosphäre schaffen, in der das möglich ist.

Herr Gallert, zwei Stiftungen - für die Zeit vor 1945 und

für die Zeit nach 1945 - halte ich nicht für einen Ausweg.

Es gehört zur Tragik unserer Geschichte, dass in den

Gefängnissen nacheinander Opfer beider Systeme gelitten

haben und Gepeinigte umgebracht wurden. So

schwierig es ist, dies zusammen zu sehen, ohne es

gleichzusetzen, bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Denn

spätestens an diesem Punkt müssten sich beide Stiftungen

wieder treffen und darüber sprechen, wie sie an diesen

Orten das Gedenken und die Erinnerung wach halten.

Deshalb halte ich das für keinen Ausweg.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU

und von der Regierungsbank)

Im Übrigen ist das eine Aufgabe für das geeinte Deutschland.

Man hat schon manchmal den Eindruck, dass diese

Bewältigung allein den Ostdeutschen zugeschoben

wird. Die Entwicklung in der DDR war eingebunden in

eine Nachkriegsordnung, in der zwei Weltsysteme verbunden

waren. Es ist müßig zu überlegen, ob die DDR

überhaupt eine Chance hatte, innerhalb des Ostblocks

auszubrechen. Auch das muss betrachtet werden.

Ich habe beim letzten Historikerkongress in Basel leider

festgestellt, dass dieses Thema überhaupt nicht erwähnt

worden ist. Ich hatte den Eindruck, dass man, wenn es

um Geschichtsverarbeitung geht und man von deutscher

Vergangenheitsbewältigung spricht, zum einen die Entwicklung

in Westdeutschland meint und zum anderen

die Entwicklung im Osten, womit dann der gesamte Osten

und nicht nur die DDR gemeint ist. Man glaubt teilweise

nicht, dass unsere Geschichte auch eine gesamtdeutsche

Geschichte ist. Sich dafür einzusetzen, dass

das im Blick behalten wird, ist eine wichtige Aufgabe.

Wir Sozialdemokraten plädieren weiterhin für einen offenen,

fairen und differenzierten Blick auf unsere Geschichte.

Dafür kann und soll die Gedenkstättenstiftung

einen wichtigen Beitrag leisten. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und von der

Regierungsbank)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Herr Bischoff, es gibt eine Frage von Herrn Paqué.

- Bitte schön.

Herr Prof. Dr. Paqué (FDP):

Herr Bischoff, bei allem Respekt vor Ihrem Vortrag - ich

möchte an dieser Stelle den Vorwurf eines, wie Sie es

genannt haben, billigen Vorgehens unserer Fraktion zurückweisen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte an Sie die Frage stellen, warum Sie folgende

Vorgehensweise als unmöglich ansehen würden: Wenn

am Montag die überwältigende Mehrheit der Mitglieder

des Stiftungsrates - das sind Vertreter der Fraktionen,

der Regierung und anderer Organisationen - die Mitarbeit

im Stiftungsrat aussetzen wird, dann wird der Stiftungsrat nicht mehr vernünftig weiterarbeiten können.

Damit wird eine politische Lösung gefunden werden

müssen. - Das ist genau der Weg, den wir uns vorstellen.

(Unruhe bei der CDU)

Das ist ohne Weiteres möglich. Dazu bedarf es nicht eines

neuen Gesetzes.

(Herr Stahlknecht, CDU: Warum?)

Herr Bischoff (SPD):

Herr Professor Paqué, vielleicht ist das Wort „billig“, das

ich vorhin gesagt habe, zu hart gewählt gewesen. Das

will ich zugeben.

Über die zweite Schlussfolgerung, die Sie ziehen, haben

auch wir nachgedacht. Wir haben alles hin und her überlegt;

wir wurden doch auch gedrängt. Ob es am Ende

funktioniert, wenn wir alle zurücktreten, wissen wir nicht;

denn die Opferverbände haben deutlich gesagt, sie hätten

nicht mit den anderen ein Problem, sondern nur mit

einer Person, mit der sie nicht zusammenarbeiten könnten.

Das müssen wir respektieren. Deswegen haben wir

gesagt, wir müssen eine Lösung dafür finden.

Natürlich haben wir mit den LINKEN geredet, sie gebeten

und danach gefragt, ob nicht ein anderer Schritt

möglich sei. Es ist bis heute nicht möglich. Deshalb haben

wir uns gezwungen gesehen, diesen Schritt mit dieser

Gesetzesänderung zu tun.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von

der Regierungsbank)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Frau Hüskens, bitte.

Frau Dr. Hüskens (FDP):

Herr Bischoff, ich möchte eine Nachfrage dazu stellen.

Wenn man in § 7 des Gesetzes, den Sie jetzt anfassen,

sieht, dann steht explizit darin, wer Mitglied des Stiftungsrates

ist: vier Vertreter aus dem Landtag sowie

Vertreter aus dem Justizministerium, dem Innenministerium,

dem Finanzministerium, dem Kultusministerium

und der Landeszentrale. Die sind die Mitglieder. Diese

werden durch je ein Vorstandsmitglied aus den Beiräten

ergänzt.

Wenn die Regierungsfraktionen zu der Auffassung gelangen,

dass sie zurücktreten wollen, dann - davon gehe

ich einmal aus - werden auch die Vertreter der Landesregierung

zurückgezogen. Dann wäre dieser Stiftungsrat

beschlussunfähig. Dann müsste die Stiftungsaufsicht

handeln.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Richtig!)

Wenn das so ist, dann ist mir wirklich nicht klar, warum

Sie diesen Weg nicht für gangbar halten. Das ist für

mich völlig unklar.

Mich persönlich wundert, warum man sich über diesen

Weg nicht schon vor einem halben Jahr verständigen

konnte und es überhaupt so weit hat kommen lassen.

(Frau Budde, SPD: Weil dazu noch mehrere Partner

gehören, mit denen man sich verständigen

muss! Also!)

Herr Bischoff (SPD):

Ich will einmal mit der Frage anfangen, warum man sich

darauf nicht vor einem halben Jahr verständigen konnte.

Vor einem halben Jahr habe ich einen solchen Vorschlag

von Ihnen nicht gehört.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Sie haben mich nicht

gefragt!)

Den höre ich heute zum ersten Mal. Sie wissen, dass wir

das hoch und runter überlegt haben.

(Widerspruch bei der FDP)

Ich höre diesen Vorschlag zum allerersten Mal.

(Herr Prof. Dr. Paqué, FDP: Das haben wir immer

deutlich gesagt!)

Ich habe auch von niemand anderem die Bereitschaft

mitbekommen, so handeln zu wollen.

Ich müsste meine Fraktion fragen, wer diesen Vorschlag

von Ihnen kennt. Ich habe es genau so empfunden, dass

erst nachdem wir diesen Schritt gegangen sind und Sie

eingeladen haben, die Reaktionen von Ihnen gekommen

sind.

(Unruhe bei der FDP)

Wir hätten uns gern gemeinsam hingesetzt. Sie hätten

uns auch einladen können. Wir hätten jede Einladung

angenommen, die dazu beigetragen hätte, eine Lösung

zu finden. Daher finde ich es nicht gut, wenn Sie uns

jetzt sozusagen vorführen wollen, als ob wir nicht an einer

Lösung interessiert wären. An der sind wir auf jeden

Fall interessiert.

Wir sind jetzt zu der Meinung gekommen, dass die Lösung

per Gesetzesänderung besser und eindeutiger ist.

Wenn Sie eine andere favorisieren, dann kann ich das

nicht ändern. Dann hätten wir darüber vielleicht früher

reden sollen. Ich weiß es nicht. Es ist nicht darüber geredet

worden. Wir haben den jetzt vorgeschlagenen

Weg gewählt.

(Herr Stahlknecht, CDU: Richtig!)

Ich will nur sagen, wir hatten Sie - - Das reicht eigentlich.

(Zustimmung bei der SPD)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Nun erteile ich Herrn Gallert

das Wort, um für die LINKE zu sprechen.

Herr Gallert (DIE LINKE):

Werter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste! Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalition

zur Änderung des Gedenkstättengesetzes wird von

uns unter zwei Aspekten thematisiert:

Zum einen müssen wir uns mit dem Fakt auseinander

setzen, dass wir es hierbei mit einer Lex Tiedge zu tun

haben und uns auf dieser Ebene positionieren. Zum anderen

aber zwingt uns das Vorgehen der Koalition zu einer

öffentlichen Analyse der Arbeit der Gedenkstättenstiftung

und der aktuellen geschichtspolitischen Diskussion.

Zuerst ist es jedoch wichtig, die Fakten zur Auseinandersetzung

in und um die Gedenkstättenstiftung

darzulegen, Fakten, die, wenn überhaupt, nur sehr selektiv

politisch und medial wahrgenommen werden.

Dazu gehören als Erstes die öffentlichen Auseinandersetzungen

um die Mitgliedschaft von Gudrun Tiedge im

Stiftungsrat. Nach der entsprechenden Wahl im Landtag

und der konstituierenden Sitzung des Stiftungsrates traten

die Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus

und des Bundes stalinistisch Verfolgter mit der

Position an die Öffentlichkeit, dass sie in dieser Stiftung

nicht mitarbeiten würden, weil Gudrun Tiedge Mitglied

des Stiftungsrates geworden sei.

Gemeint war von Anfang an jedoch etwas anderes,

nämlich dass Gudrun Tiedge aus diesem Rat zurückzutreten

habe. Wer dies bezweifelt, schaue sich bitte die

Aussagen von Johannes Ring gegenüber der dpa vom

22. Oktober 2007 an.

Dem ging unter anderem ein Gespräch seitens der genannten

Opferverbände, der Stasi-Unterlagenbeauftragten

und des Vereins Zeitgeschichte aus Halle voraus, an

dem Gudrun Tiedge und ich teilnahmen und bei dem wir

unsere Entscheidung, Gudrun Tiedge zu nominieren,

begründet haben. Am Ende des Gesprächs stand jedoch

die Feststellung seitens der Vertreter dieser Opferverbände,

dass eine inhaltliche Diskussion über die Ansichten

und die Tätigkeit von Frau Gudrun Tiedge nach dem

Jahr 1990 für die Positionierung der Opferverbände völlig

belanglos sei, sondern ihre Tätigkeit vor dem Jahr

1989 ein zwingendes Ausschlusskriterium darstelle.

Deshalb ist es wichtig, sich diesen Bereich ihrer Biografie

noch einmal anzuschauen. Dazu werden im Wesentlichen

zwei Vorwürfe erhoben:

Der erste betrifft ihre Tätigkeit als IM. Dazu gab jedoch

bereits der Stasi-Untersuchungsausschuss dieses Landtages

im Jahr 2005 unter der Leitung von Herrn Ruden

die uns bekannte Wertung ab.

Der zweite zentrale Vorwurf richtet sich gegen ihre Tätigkeit

als Jugendstaatsanwältin. Dazu ist Folgendes zu

sagen: Eine differenzierende Bewertung von Menschen,

die in der DDR-Zeit solche Berufe ausgeübt haben, erscheint

uns notwendig. Wenn ich mir die Biografien von

politischen Repräsentanten der Fraktionen anschaue,

die diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, dann

scheint dies auch in diesen Fraktionen Konsens zu sein.

Trotzdem, auch ich bin der Meinung, dass es individuelle

Ausschlussgründe für eine solche Funktion geben kann,

die in der Tätigkeit vor dem Jahr 1989 liegen. Eine differenzierende

Betrachtung führt uns bei Gudrun Tiedge

aber eben zu einem anderen Schluss.

Der von der letzten DDR-Volkskammer initiierte Staatsanwälte-

Wahlausschuss hat in Ansehung und ausführlicher

Diskussion vor allem der in Rede stehenden Urteile

zu Grenzverletzungen Gudrun Tiedge mit einer Zweidrittelmehrheit

für eine weitere Tätigkeit empfohlen. Diese

Empfehlung bekam eine außerordentlich geringe Zahl

von ehemaligen Staatsanwälten der DDR. Abgesehen

von unmittelbaren Berufseinsteigern sprechen wir von

weniger als 10 % der DDR-Staatsanwälte.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Jede polizeiliche

oder justizielle Verfolgung eines Menschen, weil er sein

Menschenrecht auf Freizügigkeit anwenden will, ist eine

klare Menschenrechtsverletzung und durch keine politische

Zielstellung zu legitimieren. Wenn wir die Personen

aber heute im Jahr 2007 im Einzelnen auf ihre Befähigung

für eine aktive Gestaltung in einer demokratischen

Gesellschaft hin befragen, dann muss eine differenzierende

Wahrnehmung möglich sein.

Werte Kollegen von der SPD und der CDU! Man hat mit

einer breit angelegten Kampagne seit Monaten versucht,

Opfer von Gudrun Tiedge zu finden. Vor allem der Bayerische

Rundfunk hat in Zusammenarbeit mit den bereits

genannten Opferverbänden eine intensive Medien- und

Internetkampagne dazu gestartet. Sie blieb bis heute erfolglos.

Wir können nicht ausschließen, dass sich heute jemand

als Opfer von Gudrun Tiedge fühlt, aber es ist eben auch

wichtig zu wissen, dass diese Suche, die übrigens schon

im Jahr 1998 eingesetzt hat, also seit fast zehn Jahren

läuft, erfolglos blieb.

Trotzdem haben Sie, werte Kollegen der Koalition, den

Forderungen der beiden genannten Opferverbände entsprechend

einen Gesetzentwurf eingebracht, der dazu

dient, Gudrun Tiedge aus dem Stiftungsrat zu entfernen.

Um es ganz klar zu sagen: Selbst wenn Sie diese Logik

in Ihren eigenen Reihen immer anwenden würden, hielten

wir sie für grundfalsch. Da Sie aber, wenn es um das

eigene Personal geht, völlig andere Bewertungskriterien

anlegen und auch regelmäßig vor den Wahlen andere

Signale aussenden, sagt dieser Gesetzentwurf wenig

über Gudrun Tiedge, aber viel über die Autoren aus.

Eigentlich wichtiger als diese Auseinandersetzung ist jedoch

eine Analyse der Situation der Gedenkstättenstiftung

im Ganzen. Dabei trifft man auf Erstaunliches.

Während sich Fernsehanstalten und Zeitungen gegenseitig

in der Berichterstattung über den so genannten

Fall Tiedge übertreffen, befindet sich vor allem der Stiftungsbeirat

für die Zeit von 1933 bis 1945 in einem desaströsen

Zustand, ohne dass das wirklich jemanden zu

interessieren scheint.

Kommen wir zu den Dingen im Einzelnen: Das im Gesetz

aufgeführte Dokumentations- und Kulturzentrum

Deutscher Sinti und Roma hat von Anfang an seine Mitwirkung

in dieser Stiftung verweigert. Grund dafür ist

zum einen seine Einschätzung, dass es in Sachsen-

Anhalt ähnlich wie in Sachsen zu einer nicht zu akzeptierenden

Nivellierung zwischen dem Völkermord der NSZeit

und den Menschenrechtsverletzungen in der DDR

komme.

Darüber hinaus betrachtet die Interessenvertretung der

Sinti und Roma die zwingend vorgesehene Stasi-Überprüfung

als substanzielles Misstrauen des deutschen

Staates gegenüber den Sinti und Roma, wofür diese gegenüber

dem deutschen Staat - übrigens auch gegenüber

der Bundesrepublik Deutschland, aber eben nicht

umgekehrt - ausdrücklich Grund haben. Diese Opfergruppe

wird also nicht mitarbeiten, solange es diese

Stasi-Überprüfung im Beirat gibt.

Der Verband der Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten

hat seine Mitarbeit in der Stiftung beendet.

Gegenüber dem Ministerium erfolgte dieser Schritt mit

der Begründung der Wahl des Stiftungsdirektors. Begründet

wird dies nicht im Detail. Aber nach einem sachlichen

Grund muss man nicht lange suchen, wenn dieser

Verband in dem Schreiben des Stiftungsdirektors nicht

einmal richtig benannt wird. Es ist also ganz klar: Solange

Herr Scherrieble Stiftungsdirektor ist, wird dieser

Opferverband nicht mitarbeiten.

Drittens. Obwohl es keine formelle Absage gibt, erfolgt

bisher keine Mitarbeit des Zentralrates der Juden in

Deutschland. Es gibt die Benennung von Herrn Professor

Dr. Korn, der für den gesamten Gedenkstättenbereich im Zentralrat der Juden verantwortlich und

außerdem noch Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde

von Frankfurt am Main ist.

Seine Vertretung nimmt deshalb im Normalfall Herr Peter

Fischer für den Zentralrat wahr, zum Beispiel in

Brandenburg und Thüringen. Herr Fischer hat sich aus

den folgenden Gründen nicht für den Stiftungsbeirat nominieren

lassen: Zum einen hat er sehr deutlich formuliert,

dass die regelhafte Stasi-Überprüfung von Beiratsmitgliedern

ein dezidiertes Misstrauen gegenüber den

delegierenden Institutionen, in seinem Fall also dem

Zentralrat, darstellt.

Zum anderen führt er an, dass die Art und Weise der

Diskussion um die Gedenkstätten in Sachsen-Anhalt eine

Mitarbeit für ihn unmöglich macht. Als Beispiel benennt

Herr Fischer die Diskreditierung seiner Person

durch den Vorsitzenden des Verbandes der Stalinistisch

Verfolgten in der Diskussion um die Torgauer Urnen.

Herr Fischer sagte dazu:

„Niemand kann von mir verlangen, dass ich in einer

Stiftung mit solchen Leuten zusammenarbeite.“

Die beiden letzten verbliebenen Vertreter in diesem Beirat,

der Vertreter des VdN/BdA und der Vertreter der

evangelischen Kirche, haben sich in der Diskussion um

Gudrun Tiedge positioniert. Herr Steinhäuser forderte in

einem Leserbrief dazu auf, die Wahl von Frau Tiedge zu

akzeptieren. Vom VdN/BdA gibt es eine Pressemitteilung,

in der sich der Sprecherrat eindeutig zu einer Zusammenarbeit

mit Gudrun Tiedge bekennt und sich für

ihre engagierte Arbeit bedankt.

Warum aber, frage ich Sie, haben wir es mit einer allgewaltigen

Medienschlacht um Gudrun Tiedge zu tun und

warum scheint es darüber hinaus fast völlig egal zu sein,

welche Hinderungsgründe andere Opferverbände, nämlich

die aus der Zeit des Faschismus, haben, in dieser

Stiftung mitzuarbeiten? Was also macht die Mitarbeit

des Verbandes der Opfer des Stalinismus unverzichtbar,

während man auf die Sinti und Roma, den Zentralrat der

Juden sowie den Verband der Euthanasiegeschädigten

und Zwangssterilisierten offenbar verzichten kann? Was,

liebe Kollegen von der CDU und der SPD, ist Ihr Grund

für diese Unterscheidung?

Das ist für uns die entscheidende Frage. Um sie beantworten

zu können, muss man sich die aktuelle geschichtspolitische

Auseinandersetzung anschauen.

Eine Antwort gibt uns in dankenswerter Klarheit Professor

Dr. Klaus Schroeder. Er ist der Leiter des Forschungsbundes

SED-Staat an der FU Berlin und von der

CDU benannter Sachverständiger beim Gedenkstättenstiftungsgesetz

des Bundes. Er hat das übersichtlich in

einem Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 7. November

2007 dargelegt.

Demnach geht es im Wesentlichen darum, die DDR- und

die nationalsozialistische Terrorherrschaft in der Erinnerungskultur

unter den Begriffen „Diktatur“ und „totalitäre

Systeme“ von ihrem Wesen her als ähnlich, wenn nicht

sogar als weitgehend identisch darzustellen. Dem gegenüber

steht die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Dieses bipolare Weltbild soll das verbindliche

Geschichtsbild sein. Dabei stören natürlich all diejenigen,

die eine solche These nicht mittragen und sich mit

ihrer DDR-Biografie nicht in ein einfaches Täter-Opfer-

Schema pressen lassen. Dazu gehören konsequenterweise

aber auch all diejenigen, die folgende Position

vertreten - ich zitiere noch einmal Herrn Fischer -:

„Deshalb verbietet es sich, die Tatsachen über

einen Kamm zu scheren; denn im Verwischen

der qualitativen Unterschiede historischer Zusammenhänge

entstehen ähnliche Defekte im Hinblick

auf die Glaubwürdigkeit, wie sie aus der Zeit

des einseitig machtpolitischen Antifaschismus der

Kommunisten zu DDR-Zeiten bekannt sind. Ein

Zeitbogen von 1933 bis 1989, die Herstellung eines

solchen Kontinuums verbietet sich aus der

Sicht des Zentralrates.“

Herr Scharf hat mit seiner Frage: „Was würden Sie denn

davon halten, wenn ein NS- Verbrecher darin wäre?“,

genau dies skizziert.

Übrigens, werte Kollegen von der CDU und der SPD, ein

solches bipolares Geschichtsbild wie das von Professor

Dr. Schroeder ist für mich nicht neu. In der DDR habe

ich gelehrt bekommen, dass die Bundesrepublik

Deutschland nach 1949 und das Terrorregime von 1933

bis 1945 nur zwei Spielarten des entwickelten Kapitalismus

sind, dem der unangreifbar überlegene Sozialismus

gegenübersteht.

Meine Damen und Herren! Wir sind nicht bereit, das eine

bipolare Geschichtsbild durch das andere austauschen

zu lassen, zumal wir uns über die politische Funktion eines

solchen Vorgehens im Klaren sind. Dies aber ist der

eigentliche Hintergrund der Auseinandersetzung, über

die wir hierbei reden.

Abschließend sind wir als Fraktion zu der Auffassung

gelangt, dass die Gedenkstättenstiftung für die Zeit

von 1933 bis 1989 selbst nach der jetzt vorgeschlagenen

Fassung des Gesetzes gescheitert ist. Eine demokratische

Erinnerungskultur lässt sich aus unserer Sicht

in Sachsen-Anhalt nur noch in zwei getrennten Stiftungen

realisieren.

Wir lehnen den vorgelegten Gesetzentwurf ab. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Gallert. - Möchten Sie eine Frage von

Herrn Bischoff beantworten?

Herr Gallert (DIE LINKE):

Ja.

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Bitte schön.

Herr Bischoff (SPD):

Herr Gallert, mir geht es um die Stellungnahme der Verbände,

die Sie erwähnt haben, die nicht mitmachen wollen.

Zu uns sind sie nicht gekommen. Ich habe das nur

allgemein erfahren.

Nachdem ich es noch einmal nachgelesen habe, weiß

ich nun: Als das Innenministerium den Entwurf des Gedenkstättenstiftungsgesetzes

eingebracht hat, wurde in

der Begründung zu dem Gesetzentwurf auch erwähnt,

dass die Verbände angeschrieben worden sind und Stellungnahmen

abgegeben haben. Schon in diesen Stellungnahmen

haben sowohl Sinti und Roma als auch der

Verband der Euthanasiegeschädigten ihre Bedenken

vorgetragen. Das wurde in den Ausschussberatungen

wahrscheinlich nur gestreift. Man hat sich trotzdem darauf

geeinigt, die Stiftung zu gründen. Dem haben auch

die LINKEN zugestimmt. Es war also vorher bekannt.

Weshalb ist es jetzt nachträglich eskaliert? - Das ist

meine erste Frage.

Die zweite Frage lautet: Ist es nicht trotz dieser Probleme

wichtig, dass wir an den Orten, die es gibt, den Versuch

einer Lösung unternehmen? Von jedem, der darin

vertreten ist, wird erwartet, dass er den anderen respektiert

und dass nicht gegenseitig aufgerechnet oder verharmlost

wird. Ist es dann nicht eine Aufgabe, das in einer

Stiftung zu machen?

Herr Gallert (DIE LINKE):

Herr Bischoff, ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Es gab

bei uns noch einmal eine ausführliche Diskussion über

die Frage: Haben wir damals einen Fehler gemacht, als

wir dieser Konstruktion der Gedenkstättenstiftung zugestimmt

haben, die übrigens aus dem Innenministerium

gekommen ist und eher dem sächsischen Modell folgt?

Das ist nun abgewendet worden. Wir haben jetzt eine

vergleichbare Situation in Brandenburg. Dort funktioniert

es. Das Interessante ist, dass es in Sachsen-Anhalt

nicht funktioniert. Das hat nicht nur etwas mit der Struktur,

sondern auch etwas mit den Personen zu tun.

Wir haben es in Sachsen-Anhalt mit der Situation tun,

dass bei dem Streit um die Torgauer Urnen von Herrn

Fischer seitens des Zentralrates verlangt wurde, dass

man bei der Beurteilung sehr wohl auch berücksichtigen

müsse, dass die Menschen, die dort in der Militärhaft der

SMAD umgekommen und möglicherweise ermordet

worden seien, auch Kriegsverbrecher gewesen seien.

Wenn eine solche Aussage getroffen wird, dann fragt

der Vorsitzende des Verbandes der Stalinistisch Verfolgten:

Für wen sprechen Sie gerade, Herr Fischer? Für

den Zentralrat oder für das MfS? - Das genau ist die Situation,

die dazu führt, dass es bei uns eben so nicht

geht.

Eine zweite Geschichte - das haben wir vorher so nicht

abgesehen -: Jetzt sagen Sie, Herr Scharf, wir brauchten

die Regelüberprüfung für alle; deswegen müssten wir

das Gesetz ändern. Wir brauchten sie deswegen - das

war im Wesentlichen Ihre Argumentation -, weil die Perspektive

der Opfer entscheidend sei.

Ja, aber die Opfer haben unterschiedliche Perspektiven.

Für die einen ist es unabdingbar notwendig, die anderen

sagen jedoch: Dann erfolgt definitiv keine Mitarbeit. Warum

folgen Sie eigentlich der einen Opferperspektive

und lassen die andere völlig außen vor? - Das ist die

Frage, die wir stellen.

Wir haben gesagt: Das Gesetz ist von uns so mit eingebracht

worden. Wir müssen es akzeptieren. Ein Gesetz

hat nun einmal das Wesensmerkmal, das alle damit leben

müssen, wenn es politisch auf den Weg gebracht

worden ist. Jetzt wird dieses Gesetz deswegen aufgemacht,

weil eine Opfergruppe mit der Konsequenz nicht

leben kann. In diesem Kontext thematisieren wir die

Sichtweisen der anderen Opfergruppen.

Wenn wir es für eine Opfergruppe aufmachen, warum interessieren

uns eigentlich die Bedenken der anderen

drei Opfergruppen nicht? - Das ist die Frage, die wir stellen.

Darauf möchte ich eine Antwort haben.

Sie werden eines nicht hinbekommen: Sie werden zum

einen nicht eine allumfassende Stasi-Überprüfung, wie

sie die Verbände der Opfer des Stalinismus und der stalinistisch

Verfolgten haben wollen, hinbekommen und

zum anderen diese Überprüfung ausschließen, wie sie

zumindest die Sinti und Roma für sich ausschließen.

Das ist eine logische, keine politisch wertende Operation.

Deswegen sind wir zu dem Ergebnis gekommen:

Wir brauchen zwei Stiftungen dafür. Nicht weil wir es von

vornherein für unmöglich erachtet haben, sondern weil

wir inzwischen wissen, dass es unmöglich ist. Das hat

uns dazu geführt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Gallert. - Nun Herr Scharf, bitte.

Herr Scharf (CDU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte

nur noch auf wenige Überlegungen eingehen, aber auch

einige aufgeworfene Fragen beantworten.

Auch ich gehöre sehr stark zu den Anhängern, die der

Auffassung sind: Es ist wert, dass wir e i n e Stiftung

haben, weil uns die eine Stiftung davor bewahrt, die

deutsche Geschichte auseinander zu reißen. Das geht

nicht.

Es gibt einen einfachen praktischen Gesichtspunkt. Wir

könnten den Roten Ochsen nicht sauber zuordnen. Wir

würden einen sehr unerquicklichen Streit unter uns darüber

führen, welche der beiden Stiftungen der Rote

Ochse zugeordnet werden muss. Der Streit an sich wäre

schon falsch, weil es zur Geschichte gehört, dass der

Rote Ochse zu der einen und auch zu der anderen Diktatur

gehört.

Damit, meine Damen und Herren, haben wir uns auseinander

zu setzen. Die Geschichte ist leider so - das

kennt jeder, der sich etwas mit der Geschichte befasst -,

dass das Opfersein in der einen Diktatur nicht automatisch

dazu führt, vor Versuchungen in der anderen Diktatur

gefeit zu sein.

Es gibt Menschen - wir alle kennen sie -, die in den NSLagern,

Gefängnissen und KZ gesessen haben, die geschunden

und gefoltert wurden. Trotzdem haben sie sich

hinterher in der DDR-Diktatur nicht davor gescheut - ich

persönlich verstehe es nicht -, selbst ähnliche Maßnahmen

für ihre politischen Gegner anzuordnen.

Das ist nun einmal die Geschichte. Deshalb muss man

die Geschichte aufarbeiten, meine Damen und Herren.

Deshalb bin ich der Auffassung, dass dazu auch die

Überprüfung gehört; denn es ist nicht so, dass man,

wenn man in der einen Diktatur gelitten hat, automatisch

ohne Fehl durch die andere Diktatur gegangen ist. Das

muss man im Einzelnen überprüfen.

Ich habe mich in Vorbereitung der heutigen Diskussion

etwa in politischen Biografien schlau gemacht. Es gibt

zum Beispiel einen Herrn Helmut Eschwege. Ich selbst

habe ihn nicht gekannt, weil ich nicht Historiker bin. Er

war jüdischer Historiker und Dokumentarist in Deutschland.

Er hat gelitten. Er war später Mitarbeiter im MfS.

Das hat es gegeben.

Hierin steht, dass Eschwege zum Beispiel zu denen gehörte,

die in den 80er-Jahren jahrelang zu den wichtigsten

Informanten des MfS über den langjährigen Vorstandsvorsitzenden

der Jüdischen Gemeinde Helmut

Aris - der eine oder andere wird sich noch an ihn erinnern

- gehörte. Selbst den Aufruf der in der Wende neu

gegründeten Sozialdemokratischen Partei, die er damals

mit gegründet hat, hat Eschwege noch dem MfS übergeben.

So ist nun einmal die Geschichte. Das muss aufgearbeitet

werden.

Deshalb nützt es gar nichts, wenn wir versuchen, zu separieren

und uns selektiv dem einen oder anderen Teil

zu widmen. Ich habe die starke Hoffnung, dass sich die

Gedenkstättenstiftung dieser Aufgabe noch widmen

kann.

Ein anderer Gedanke. Ich habe vorhin gesagt: Die Perspektive

der Opfer ist für uns entscheidend und sehr

wichtig. Trotzdem sind wir im Parlament gezwungen abzuwägen.

Nicht jede Opferperspektive ist automatisch

die richtige. Der Abwägungsprozess gehört dazu.

Ich will deutlich sagen: Wenn uns die Opferverbände

angeschrieben haben, dann hat uns das genötigt, noch

einmal intensiv darüber nachzudenken, ob wir richtig

gehandelt haben. Es gibt keinen Automatismus, meine

Damen und Herren.

Wir sind auch weiterhin der Auffassung - auch wenn der

Verband der Sinti und Roma es anders sieht -, dass

e i n e Gedenkstättenstiftung die richtige Lösung ist.

Dieser Auffassung waren wir damals übrigens auch

schon.

Ich habe damals den Leserbrief von Herrn Steinhäuser

mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Ich weiß nicht, wie

Herr Steinhäuser heute zu seinem Leserbrief steht. Ich

verstehe Herrn Steinhäuser so, dass es ein Versuch von

ihm gewesen ist, die Stiftung zu retten.

Auch ich selbst habe zig Gespräche geführt. Ich war

doch nicht von Anfang an derjenige, der gesagt hat: Wir

müssen sofort das Gesetz ändern. Nur jetzt, nach einem

halben Jahr, bin ich der Auffassung: Wenn es nicht anders

geht, müssen wir andere Schritte einleiten.

Wir müssten Herrn Steinhäuser noch einmal fragen, ob

er heute die Sache vielleicht auch etwas differenzierter

sieht.

Meine Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, wir

sind jetzt tatsächlich dabei, einen gangbaren Weg zu

gehen. Auch der Weg der FDP führt nicht sicher zum

Ziel. Eine zweite Möglichkeit zum Patzen haben wir

nicht. Jetzt müssen wir richtig handeln. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Scharf. Herr Scharf, möchten Sie eine

Frage von Herrn Gallert beantworten? - Herr Gallert, bitte.

Herr Gallert (DIE LINKE):

Herr Scharf, wenn Sie sagen, die Perspektive der Opfer

ist wichtig, aber wir wägen ab, dann ist es für uns schon

wichtig zu wissen, welche Perspektive offensichtlich entscheidend

ist. Das ist an dieser Stelle schon interessant.

Ich habe mich aber wegen einer anderen Geschichte gemeldet.

Sie haben vorhin zwei Beispiele angeführt, um

unsere grundsätzliche Unzuverlässigkeit innerhalb des

demokratischen Spektrums anzuführen. Darauf will ich

kurz eingehen.

Zum einen haben Sie zitiert, dass ein stellvertretender

Vorsitzender der PDS, Herr Dehm, die Enteignung der

Großkonzerne mit hineingebracht hat. Ich sage Ihnen

gleich etwas dazu, Herr Scharf. Das sagt nicht nur Herr

Dehm.

(Oh! bei der CDU)

- Ja. Das sagt nicht nur Herr Dehm. - Der eine oder andere

Landtagsabgeordnete war vor Kurzem in Halle bei

dem wohnungspolitischen Verbandstag. Dort hat jemand

die Enteignung der Stromnetze gefordert. Das war Ihr

Bauminister. Was ist er denn jetzt, Herr Scharf? Demokratisch

unzuverlässig, oder wie?

(Unruhe)

Herr Scharf (CDU):

Ich kann Ihrem Geschichtsbild etwas aufhelfen. Die gesamte

CDU Deutschlands hat das in ihrem Ahlener Programm

gefordert.

Herr Gallert (DIE LINKE):

Genau.

Herr Scharf (CDU):

Das ergibt doch keinen Automatismus, meine Damen

und Herren.

Herr Gallert (DIE LINKE):

Aber bei Herrn Dehm schon.

Noch eines: Sie haben Herrn Remmers bezüglich der

Beurteilung von Menschen, die im repressiven Staatsapparat,

sprich auch der DDR, tätig waren, zitiert. Sehen

Sie sich bitte einmal seine Äußerungen und Ihren Änderungsantrag

aus dem Jahr 1995 zu einem Antrag der

SPD und der Grünen zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure

an. Schauen Sie sich dazu bitte einmal

die Beurteilung der Amtsrichter am Volksgerichtshof

durch Herrn Remmers an. Wenn Sie diese Messlatte an

Leute aus der DDR-Justiz anlegen würden, dann hätten

wir möglicherweise eine völlig andere Diskussion. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Scharf (CDU):

Herr Gallert, wenn ich mich richtig erinnere, ist Herr

Remmers ein Mensch, der sehr differenziert denkt und

der im Landtag normalerweise auch sehr differenziert

geurteilt hat.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Jetzt komme ich wieder ein Stück weit ins Spekulieren.

Ich habe die Rede damals nicht mehr ganz genau in Erinnerung.

Aber wenn ich Ihren Gedanken einmal weiterentwickeln

darf, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass

Herr Remmers niemals auf die Idee gekommen wäre,

diese ehemaligen Richter für eine eventuelle Stiftung zur

Aufarbeitung der NS-Diktatur vorzuschlagen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU - Zustimmung von

Herrn Prof. Dr. Paqué, FDP)

Ich will noch eines sagen: Selbstverständlich sind in den

anderen Parteien nicht alle Parteimitglieder geeignet, in

einer solchen Stiftung zu arbeiten. Ich kann mir auch

vorstellen, dass auch sehr viele innerhalb der CDU nicht

geeignet wären, darin mitzuarbeiten. Diese würden wir

aber wahrscheinlich auch nicht vorschlagen.

Wir haben zu akzeptieren, dass es sehr wichtig ist, akzeptable

Personen in die Stiftung zu entsenden, damit

die Stiftung auch tatsächlich arbeiten kann. Das ist unsere

Aufgabe.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der

FDP)

Es ist nicht unsere Aufgabe, uns mit bestimmten Personalvorstellungen

in dieser Stiftung selbst zu verwirklichen.

Dazu ist die Stiftung zu wichtig. Darüber bitte ich

einmal nachzudenken.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der

FDP)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Vielen Dank, Herr Scharf. - Damit ist die Aussprache

beendet.

Frau Gudrun Tiedge hat gebeten, nach der Aussprache

Gelegenheit für eine persönliche Bemerkung nach

§ 67 der Geschäftsordnung zu bekommen. Dafür stehen

ihr drei Minuten zur Verfügung. Bitte schön.

Frau Tiedge (DIE LINKE):

Herr Präsident, ich zitiere:

„In einem Fall wurde zwar eine Verpflichtungserklärung

abgegeben, der Ausschuss ist jedoch

einhellig zu dem Ergebnis gekommen, dass die

hieran anschließende 30 Jahre zurückliegende

Tätigkeit nicht geeignet ist, die durch § 46a des

Abgeordnetengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt

geschützten Rechtsgüter, also das Ansehen

des Landtags und seiner Mitglieder, zu verletzen.

Neben der mittlerweile vergangenen Zeit liegt

dies zur Überzeugung des Ausschusses an dem

nichtssagenden Gehalt der Berichte und dem

damals jugendlichen Alter des betroffenen Mitglieds

des Landtages.“

Dies war ein Zitat aus dem Bericht des Sonderausschusses

vom 6. April 2005 zu meiner Person.

Aufgrund dessen könnte ich mich nun hinstellen und sagen:

Was wollen Sie eigentlich? - Es war doch alles

nicht so schlimm, im Prinzip bedeutungs- und folgenlos.

Aber genau das habe ich weder in der Vergangenheit

getan, noch werde ich es heute tun; denn die IM-Tätigkeit

war der größte Fehler meines Lebens. Niemand, der

wie ich so etwas getan hat, kann von sich behaupten,

niemandem geschadet zu haben; denn ein IM hatte keinen

Einfluss darauf, was mit seinen Informationen geschah.

Aber diese meine Haltung kennen Sie alle bereits

seit Jahren.

Nun wirft man mir meine staatsanwaltschaftliche Tätigkeit

vor. Man zitiert ausgerechnet und ausschließlich einen

Satz aus dem Fernsehbeitrag der Sendung „Report

München“, von einem Sender, für den der Kalte Krieg

noch nicht beendet ist.

(Oh! bei der CDU)

Ja, ich stehe zu diesem Satz, aber ich stehe zu allen

Sätzen, die ich in diesem einstündigen Interview gesagt

habe. Ich habe unter anderem erklärt, dass die DDR

kein Unrechtsstaat war, aber Unrecht geschehen ist.

Das größte Unrecht war das politische Strafrecht. In keiner

Gesellschaft ist das politische Strafrecht ein legitimes

Mittel, um den Willen nach politischen und gesellschaftlichen

Veränderungen „wegzustrafen“. Dieses Unrecht

lässt sich weder rückgängig noch ungeschehen

machen.

Ja, ich war daran beteiligt. Aber im Wissen um sämtliche

Verfahren, die ich in diesem Bereich bearbeitet habe,

haben ein Überprüfungsausschuss und das Justizministerium

entschieden, dass ich auch weiterhin als Staatsanwältin

in der BRD tätig sein kann. Muss ich nun ab

diesem Zeitpunkt nicht mehr bereuen, dass ich Staatsanwältin

geworden bin?

Ein ehemaliger Fraktionskollege hat mir folgendes Zitat

von Jurek Becker geschickt - ich zitiere -:

„Es gibt nur eine Art, Vergangenheit zu bewältigen:

sich ihrer aufrichtig zu erinnern.“

Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen und ich praktizieren

dies seit Jahren. Ich frage mich aber schon: Warum

hauptsächlich nur wir?

(Oh! bei der CDU)

Bemerkenswert ist Ihre Selbstgefälligkeit, mit der Sie

sich hinstellen, als hätten Sie mit dem, was in der DDR

geschah, überhaupt nichts zu tun, als hätten Sie keine

Verantwortung getragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun werde ich nicht mit gleichen Elle zurückschlagen

und Einzelnen ihre Vergangenheit vorwerfen. Das ist mir

persönlich einfach zuwider. Natürlich ist es persönlich

einfacher, zu verdrängen und mit dem Finger auf andere

zu zeigen und sich scheinbar von jeglicher Verantwortung

frei zu machen. Menschlich ist es vielleicht verständlich,

aber politisch ist es mehr als fragwürdig und

für die Zukunft auch nicht durchhaltbar.

Sie wollen eine ganze Gruppe von Menschen, die zu ihrer

Verantwortung in der DDR stehen, ausgrenzen und

pauschal abstrafen.

(Frau Feußner, CDU: Das stimmt gar nicht! - Widerspruch

bei der CDU)

Wissen Sie was: Ich habe ein halbes Jahr lang Sachen

über mich ergehen lassen, die weit unter die Gürtellinie

gingen.

(Frau Feußner, CDU: Was trauen Sie sich denn

hier?)

Ertragen Sie bitte wenigstens meine persönliche Stellungnahme

in Ruhe.

(Beifall bei der LINKEN)

Blinder Hass, wie er mir teilweise von den Vertretern der

Opferverbände für den Zeitraum nach 1945 entgegenschlug,

ist völlig ungeeignet, ein aufrichtiges Erinnern zu

ermöglichen. Denn Hass polarisiert und schafft neues

Unrecht.

Ich habe mich dafür entschieden, einen anderen Weg zu

gehen. Ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie das honorieren

bzw. akzeptieren - denn sonst würden Sie mit Ihren

eigenen Argumenten nicht mehr zu Rande kommen -; ich erwarte aber doch, dass Sie das respektieren.

Ich kann erwarten, dass man mir meinen Weg des Umgangs

abnimmt, diesen nicht ständig infrage stellt oder

sogar verfälscht.

Eines, Herr Scharf, lasse ich mir nicht bieten: dass man

mich mit einem NS-Verbrecher auf eine Stufe stellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Wissen um all das wurde ich von Ihnen allen in den

Stiftungsrat gewählt. Ich werde bei dem Gesetzesvorhaben

nicht verlieren. Aber verlieren wird die Demokratie

und die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land und die

Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers.

(Frau Feußner, CDU: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)

Das haben allein Sie, die Befürworter, zu verantworten.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Herr Dr. Fikentscher:

Meine Damen und Herren, Sie haben sicherlich Verständnis

dafür, dass ich in Bezug auf die Redezeit recht

großzügig verfahren bin.

Es ist beantragt worden, diesen Gesetzentwurf in den

Innenausschuss zu überweisen. Darüber stimmen wir

jetzt ab. Wer stimmt zu? - Die Antragsteller und die FDP.

Wer stimmt dagegen? - DIE LINKE stimmt dagegen.

Dann ist die Überweisung mehrheitlich beschlossen worden

und der Tagesordnungspunkt 16 ist beendet.